Freitag, 14. Februar 2020 - Valentinstag, Pitcairn 

Heute ist Valentinstag. Diese Reise ist, wie schon gesagt, eine Reise ins Ungewisse. So wie es die Reise der Meuterer der Bounty war. Nur, dass deren Reise in den Tod führte und unsere hoffentlich in noch ein paar Tage Leben. Wir haben Pitcairn und die Pitcairner gesehen, die Gesichter der Nachkommen der Meuterer: der Fletchers und der Adams. Wir haben Honig und Postkarten im Schiff am Markt gekauft, den die Pitcairner aufgebaut haben. Dabei mussten wir kämpfen und haben gewonnen. Unsere Liebe wurde bei einem Mittagessen mit einem Wein namens „Donnafugata“ gefeiert, dem Wein, der den Namen des Sommersitzes des Fürsten von Salerno trägt, den Helden des Romans von Th. di Lampedusa: Der Leopard.

Welche Geschichte soll ich am Valentinstag erzählen? So viele passen: Der Leopard, J.P. Sartres: Das Spiel ist aus, G.G. Marquez‘: Liebe in Zeiten der Cholera und viele andere, die häufiger erzählt werden, wie Shakespeares Romeo und Julia.

Erzählen will ich, nachdem ich eine mehr als halbe Flasche des sizilianischen Weins getrunken habe, der den Namen des Dorfs Donnafugata trägt wo im Film Alain Delon Claudia Cardinale freit? Ich dachte heute früh als ich auf Deck 11 marschierte und sich am Horizont langsam Pitcairn zeigte, dass ich die Geschichte: Liebe in Zeiten der Cholera erzählen werde.

Der Roman von Gabriel, Garcia Marquez beginnt so: Ein Arzt fällt bei dem Versuch seinen Papagei aus dem Geäst einer Palme zu befreien von der Leiter. Er verletzt sich am Rücken und kann nicht arbeiten, also geht er in Urlaub. Er nimmt allein eine Schiffsfahrt am Amazonas. Eine Frau verliert ihren Mann und beschließt nicht allein zu Hause zu bleiben und kauft eine Schiffsreise am Amazonas.

Sie treffen einander am Schiff und erkennen, dass sie die Jugendliebe des jeweils anderen waren. Ihre Leben mit Ehepartner, Familien und ihre Karriere waren Lügen. Sie waren füreinander bestimmt und hatten nicht den Mut ihrer Bestimmung zu folgen.

Jetzt würde ich gern die Geschichte aus: „Das Spiel ist aus“ von J.P. Sartre erzählen, aber meine liebe Frau sagt, dass ich „hupfe“. Man kenne sich nicht mehr aus. Also hebe ich mir das auf. 

Ihr Leben, ihre Kinder und Kindeskinder – sie waren ein Irrtum. Was war die Folge der Einsicht? Sie überredeten den Kapitän die gelbe Flagge der Seuche zu setzen. (Jetzt erkennen die geneigten Leser*innen die Verbindung zu meinem Hier und Heute: Die Schiffe der Costa, die Japan, oder Singapur angesteuert haben haben die Seuchenflagge gesetzt.) 

Das Schiff kann mit der Flagge in keinem Hafen mehr landen langsam treibt es den Amazonas hinab. Die Liebenden haben eine zweite Chance. Sie leben nun ihre Liebe. Ich habe solche Geschichten real erlebt und erwähne zwei:

Agnes Weiss war die Stiefmutter meiner ersten Liebe, Vera. Als ich 1. Oberarzt bei Erwin Ringel war, war sie die Sekretärin unseres Instituts für med. Psychologie. Ihr Leben verlief wie Marquez‘ Roman:  1956 als Ungarnflüchtling liebte sie Andras, einen Juden, der als Katholik aufgewachsen war. Sie heirateten nicht. Mit einem Ungarn wanderte sie nach Australien aus, bekam zwei Söhne, hatte Kleidergeschäfte und wurde wohlhabend. Andras hatte eine Tochter Vera, die mit mir das Theater der jüdischen Pfadfinder besorgte. Beide Ehen war schlecht. Agnes kam nach Österreich ihrer ehemals ersten Station auf der Flucht aus Ungarn. Andras war inzwischen verwitwet. Sie heirateten, richteten sich in Hütteldorf ein und lebten ihre Liebe. Bei meiner Lesung im Herbst 2019 brachte Vera sie mit. Agnes war krank. Sie wollte mich noch einmal sehen. Ich hatte ihre ersten Gehversuche als Sekretärin mit Fürsorge begleitet. Möge sie in Frieden ruhen.

Meine Großtante Rachel heiratete Onkel Leo, den jüngsten Bruder meiner mütterlichen Großmutter 1943. Warum die beiden heirateten? Leo konnte aus dem Arbeitslager in der Schweiz in dem er zum Straßenbau eingesetzt wurde, in Freiheit kommen. Rachel war ein braves, streng erzogenes jüdisches Mädchen, die Tochter des Milchmanns der koscheren Gemeinde. Ihr Vater war so aufgeschlossen, dass er sie hatte Medizin studieren lassen. Allerdings kam es nicht in Frage einen jüngeren Mann zu heiraten. Frank aber war zehn Jahr jünger, dabei witzig, schlau und risikofreudig. Sie heiratete Onkel Leo, aber ihr Schoß blieb verschlossen. Die Ehe dauerte von 1939 bis 1990, sie zogen 1947 nach New York, wo Leo als Taschner arbeitete und sie den Haushalt besorgte. Als Rachels Mutter starb, übernahm sie die Versorgung des Vaters in Zürich. Rachel arbeitete als Zahnärztin, Leo war Hausmann. Ich sehe ihn rauchend auf dem Balkon der Goldbrunnenstraße 120 während sich im warmen Wasser die koscheren Wienerli wärmten. Ein verpatztes Leben, das kann ich erst heute sehen. Als Kind war er mein Held, Fußballer bei der Hakoah, wenn auch nicht in der Kampfmannschaft, ein reicher Schweizer. Meine Liebe war einseitig das schmerzt heute kaum mehr.

Als Leo 1990 an dem Wiederaufflammen der Tuberkulose starb, erfuhr Frank davor, er kam aus Australien. Rachel und Frank heirateten und lebten 32 miteinander in Sydney.

Liebe in Zeiten der Cholera – Liebe ist stark. Ich bin mit Marguerite 36 Jahre zusammen und genieße es jeden Tag, dass wir damals beide den Mut hatten das „Richtige“ zu machen. Leicht war es weder für uns noch für die Kinder, aber es war richtig.

Da der Mensch nicht die Fähigkeit hat den Weltraum, oder Gott zu erkennen, gilt der Satz des Arthur Schnitzlers den er zum Motto des Reigens machte: „Der Engel fragte Gott: „Wie willst Du es machen, dass die Menschen Deine Unsterblichkeit erkennen können?“ und Gott antwortete: „Ich will ihnen einen Moment geben, da sie sie erkennen können: Die Liebe!“ So erinnere ich es. Menschen können Transzendenz fast nur in der Liebe erkennen. Alle anderen Versuche, wie die von Philosophen gelingen selten, wenn sie den Satz nicht beherzen: „Und wäre es der Liebe nicht, so wären alle meine Worte Schall und Rauch!“ 

 

So beging ich den Valentinstag im Pazifik – verliebt, Honig bei Pitcairnern kaufend, beschwipst und ein bisschen schreibend. Heinz Conrads, Radiostar der fünfziger Jahre zum Abschluss: „War nicht alles klug, was ich gesagt, hab‘ nicht gedacht und nur mein Herz befragt. Das bleibt bei Dir, wenn auch mein Wort verweht, leb wohl sagt uns die Uhr, es ist schon spät.“

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