10.-12. Februar 2020 - Osterinsel 

(Da zwei Tage – geringe Überlänge!)

Vor drei Jahren waren wir mit der Costa luminosa auf dieser besonderen Insel. Besonders ist sie durch ihre Lage, die unerklärlichen Statuten der Moais und die vielen Legenden, die sich um sie ranken. So wie damals hatten wir ein Quartier vorbestellt. Vor drei Jahren war das eine neugebaute Hütte, die unbewohnbar erschien. Diesmal ein etwas heruntergekommenes Hotel. Unsere Erinnerungen waren schön, noch besser, dass sie noch übertroffen wurden. Marguerite erinnerte sich an Vieles, mir kommt manches bekannt vor, vieles erscheint mir neu. Eine lustige Führerin hatten wir diesmal: Chantal eine chilenische Aussteigerin, das 5. von sechs Kindern. Sie war sehr beweglich, innerlich, wie äußerlich und witzig. Wenn sie mit Marguerite sprach, benutzte sie beide Hände für ihre Gesten und schaute im Auto nach hinten. Trotzdem wich sie den vielen Schlaglöchern auf den schlecht gebauten Straßen geschickt aus, wenn‘s möglich war.

Alles ist wohlgeplant: die Abfahrt elegant, wiewohl die See nicht so ruhig war, wie sie aus dem 8. Stock des Schiffs erschien. Wir waren ab sechs Uhr wach (Abfahrt frühestens 9 Uhr), ich gehe Runden auf Deck 11. Ein Herr macht ein Mondfoto: „Was sehen Sie?“, frage ich ihn. Er schaut mich mit dem Blick des Kann-nicht-verstah an. (In einem von Grimms Märchen war das die Antwort jedes Holländers auf die Frage eines Deutschen wem denn dieses, oder jenes Haus gehöre. Darauf beschießt der Fremde, dass Herr Kann-nicht-verstah ein sehr reicher Mann sein muss.) Ich wechsle auf Französisch: da zeigt er mir, dass sich der Mond in den schräg nach oben ausgerichteten Sturmschützern, die an der Reling befestigt sind, spiegelt. Das Foto des „doppelten Monds in den Wolken“ wird Dir/Ihnen daher zur Ansicht gebracht.

Ach ja, Fotos. Alle sprechen von Fotos. An zwei Touristengruppen ging ich am Strand vorbei. In beiden Gruppen sagte gerade eine Frau: „Wir würden gern mehr Fotos machen!“ Ich habe mehr und mehr Widerstand gegen Fotos. So als ob man keine Situation mehr genießen könnte, ohne zu fotographieren. So als ob man nicht mehr nur sehen könne. Alfred gleicht einem Biber, er will sammeln. Weiß das auch, will kaufen, haben, bisweilen ohne zu wissen wofür. Er will überall ein Hemd kaufen, hat aber zu Hause noch viele Original verpackte Hemden von der Weltreise 2018. Bei Fotos ist es ähnlich: er will sie haben, speichern, verwalten. Er kann das witzig kommentieren. Beim Blick aufs Schiff in der Abendsonne umrahmt von Palmenblättern, zitiert er einen Freund, der sagte: „Wem bei so einem Anblick nicht der Finger zum Auslöser zuckt, der ist für die Fotoindustrie verloren!“ So einer bin ich. Das Abendsonnenbild habe ich nicht gemacht. Die Fotos in meinem Blog sind meist von M. Auf der Insel habe ich vom mittelalterlichen „Kompass“ (Vier Steine zeigen die Windrichtungen an. Es schien mir nachgestellt, obwohl es „original“ sei. Ich habe dort kein Foto gemacht, obwohl nur ich hingegangen bin. Chantal lief mir nach und sagte: „Soll ich von Dir ein Foto machen?“ Der Guide eines Frauenpaars machte gerade ein Foto mit denen. Ich wurde trotzig und ließ mein IPhone stecken. Daher gibt’s davon kein Foto. 

Die Osterinsel ist eine Reise wert. Nicht nur wegen der Moais, wie die einheimischen Führer glauben. Die nehmen – meist zu Recht an –, dass Touristen Fotos machen wollen. Die Insel selbst ist die Reise wert. Aussteiger*innen, Künstler*innen, Kunsthandwerker*innen überall. Der Unterhalt ist zwar teuer, vieles muss importiert werden, aber man hilft einander. Zwar ist die Insel fast selbstversorgend, sogar Bier wird erzeugt, aber vieles kommt aus Chile: Baumaterial, Benzin, Wein, Luxusartikel. Das alles ist teuer. 

Chantal war in 2. Ehe mit einem Maler und Bildhauer verheiratet, dessen Werke man beim Festival und auch sonst allenthalben sieht. Warum sie sich geschieden hat? Er sei eifersüchtig und gewalttätig gewesen. Ihre Nase war gebrochen, wie man sehen kann, ihr Gesicht ist etwas schief. Sie hat strahlend blaue Augen aus ihrer französischen Herkunft. Die Männer auf der Insel seien untreu. Alfred meint rein rechnerisch müssen bei 1700 Bewohner*innen die Frauen auch untreu sein, denn wie sollte sonst das Betrügen gehen? Das stimme auch, sagt Chantal, die seit einer Woche frisch verliebt ist und die beiden Tage, die sie mit uns vrbringt dauernd SMS bekommt. 

Moais sind mal leichter mal schwerer zu sehen. Sie liegen, stehen, oder stecken halb in der Erde, oder sind zerbrochen. Sie sind kurz vor der Entdeckung der Insel durch die Holländer beim Aufstand des Volkes gegen den Adel umgestürzt, zerschlagen, oder sonst wie kaputt gemacht worden. Man vermutet, dass der Adel, der seine Toten als Beschützer der Dörfer ausgab und sie mit Moais ehrte, das Volk aushungerte. Die natürlichen Ressourcen waren erschöpft, alle Bäume für die Bearbeitung und zum Transport der Moais geschlägert – die Insel war für ihre Bewohner zum Hungergefängnis geworden. Hier hat das Eindringen Europas nicht geschadet. Die Holländer waren die Retter Rapa Nuis. 

Ist erzählen so wie Fotos machen? Wahrscheinlich. Denn der Ablauf des Besuchs in einem altem Hyundai-PKW zu fünft mit kaputten Stoßdämpfern war ein Kurzfilm. Wir haben den Nationalpark mit den Moais an allen acht Stellen besucht. Wir haben am Strand zu teuer gegessen, am Abend nochmals wieder zu teuer. Ich habe Chantal und ihren Sohn zum Essen eingeladen. Anoch Nui ist ein fünfzehnjähriger Knabe, mutig, an Erwachsenen desinteressiert aufs Handy schauend. Also normaler Jugendlicher. Am Vortag fand eine Mutprobe statt an der er teilgenommen hat: man fährt auf drei Baumstämmen, die mit Stroh bedeckt sind, eine steile Vulkanwiese wie mit einer „Rodel“ ab. Er zeigte uns das Video. Kommt der Fahrer unter die Stämme wird er zumindest schwer verletzt. Die Abfahrt dauert 20 – 25 Sekunden, wer siegt wurde mir nicht klar. Die Mütter waren entsetzt, dass Chantal Anoch mitfahren lässt, aber sie will ihn als Kind der Insel aufziehen, daher an den Traditionen Rapa Nuis teilhaben lassen. Sonst hätte sie ihm nicht einem polynesischen Namen gegeben. Mutter und Sohn sprechen Spanisch, Polynesisch und Französisch am Tisch. Anoch hat einen Sehnenstrang am 4 Finger, der verkürzt ist. Er hat die Sehne als Einjähriger mit einem Köder durchschnitten. Zu sechst saßen wir im 1. Stock des Lokals auf der Terrasse und hörten die Musik des Festivals dessen Bühne Anochs Vater Te Pou Huke gestaltet hatte. Für uns war es Kitsch – Figuren der Festivalsköniginnen der letzten 50 Jahre und viele farbige Lichter. Die Gäste fanden‘s gut: sie bevölkerten die Festwiese, aßen hausgemachte Pommes frittes, Fleisch- und Fischspieße und tranken Bier. 

Der Kult um den Vogelmenschen war am beeindruckendsten. Krieger bereiteten sich auf den Tag vor an dem sie für ihren Stamm Ehre holen sollten. In der Vorbereitung wurden acht Jungfrauen 9 Monate in einer Höhle eingesperrt, um sie zu bewahren, sie vorzubereiten und damit ihre Haut heller wurde. Dann kam der Tag des „Spiels“. Vom Rano Kau Kraterrand rannten die Athleten mit einem umgürteten Baumstamm als Schwimmhilfe in den Händen 450 steil hinab. Sie schwammen 1800 Meter zur Insel, auf der ein Vogel brütete. Sie klettern über Felsen vom Meer hinauf, jedoch war der Zugvogel manchmal noch nicht da. Dann warteten sie auf dem unfruchtbaren Eiland. Sie suchten das Vogelei. Hatten sie es gefunden, stahlen sie es und brachten es zurück. Am Rano Kau warten Priester und Stammesfürsten. Hatte einer ein ganzes Ei, hatte sein Stamm gewonnen. Der Stammesfürst bekam die Jungfrauen und die Herrschaft über die Insel für ein Jahr. Danach fand das Spiel wieder statt. Ich glaube von diesem Ritus der „sportlichen“ Wahl des Herrschers schon als Kind gehört zu haben. Das Erzählte ist heute in einem Gebäude dokumentiert. Der Ausblick auf die Zielinsel ist frei, drei Erhebungen im blauen Meer. Rundum kann man kleine Verschläge, sehen, die den Sportlern und Priestern Unterschlupf gewährten. 1886 hat ein britisches Archäologenteam die Häuser zerstört, um die kultische Bemalung nach London ins Museum zu bringen. Nun werden die Häuser renoviert, die Wandmalereien sind in London.

Die Rückkehr aufs Schiff war abenteuerlich. Das Tenderboot hebt und senkt sich zirka 2 Meter mit den Wellen, man muss – von vier Helfern unterstützt – im richtigen Augenblick hüpfen. 2000 PAX inklusive Rollstuhlfahrer*innen einzuschiffen: Alle Achtung! 

Der Scharm der Insel, ihre Ausgesetztheit mitten im pazifischen Ozean macht sie besonders. Dass sie archaische Riten, von denen wir manche verstehen und manche nicht, hatte – das ist eine Zuwage. Aber vor allem gibt’s tausende Kilometer rundum nichts. Der Abschied fällt uns schwer: Marguerite und ich sitzen 90 Minuten im Whirlpool, hören A. Bocellis: Partiro und halten uns aneinander, besprechen die Eindrücke und sie sagt: „Es ist nicht selbstverständlich, dass man in seinem Leben zweimal auf die Osterinsel kommen darf!“ 

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