Überraschende Diagnosen: Theo

Diagnostik besteht aus dreierlei: zuhören (können), möglichst viel Medizin auswendig gelernt haben (und manchmal, so das möglich ist, auch verstanden haben) und passenden, oder absurden Einfällen. Vor allem ist es wichtig Falsches auszuschließen, und nichts zu glauben, was vorher diagnostiziert wurde. Dies natürlich nur in den Fällen, wo das Bisherige nichts gebracht hat, beziehungsweise keine Diagnose erstellt wurde. Dabei darf man eins nicht außer Augen lassen: Zuerst kommt immer die Geschichte des Patienten, dann der diagnostische Einfall, der am besten auch noch bestätigt werden kann und zuletzt die Therapie. Dass das manchmal anders gehandhabt wird, ist ebenso bedauerlich, wie falsch. Weiterlesen...


Der Dieb von Bad Aussee

Komisch, die „Heldengeschichten“, die bei Freunden und Nachbarn passierten, erinnere ich leichter. Das, was ich in den Spitälern gemacht habe, in denen ich 43 Jahre beinahe ununterbrochen war, gehört zu meiner beruflichen Existenz und dort habe ich und die Welt von mir erwartet, dass ich besser bin als manch anderer Kollege. Jedenfalls wird das einem Professor zugesprochen, oder wie Helmut Kasper sagt: „Man sieht jemanden an – das gibt „Ansehen!‘“ Schon der Abwechslung wegen rücke ich doch die eine, oder die andere klinische Geschichte ein. Ich habe sie immer gern bei berühmten Ärzten gelesen, von des Geheimrats Sauerbruchs Geschichte bis zu Arztromanen und -filmen. Und bin ich auch kein berühmter Arzt geworden, so erinnere ich doch manche Heldengeschichte und manches Versagen. Weiterlesen...


Tuberöse Hirnsklerose – eine seltene Krankheit

Vorgefertigte Ansichten sind immer ein Problem. Oder, wie mein Freund der berühmte Professor und Morgenwaldspaziergangsgenosse Helmut Kasper sagt: „Ängstliche Menschen sind kleinkariert. Je dümmer, oder je ängstlicher desto kleiner ist das Karo!“ Ich erzähle daraufhin eine Frage, die ich bei Prüfungen manchmal zur Auflockerung einstreute: „Wer entscheidet, ob bei einem Kind die Appendix entfernt wird, oder nicht?“ Die Student*innen gaben tolle Antworten: „Der Chirurg, das Blutbild, der Lokalbefund, der Temperaturunterschied zwischen der analen und oralen Messung etc.“ Die richtige Antwort war aber: „Der Portier“. Denn je nach Stimmung, Zugehörigkeitsgefühl. Bettenkapazität, oder Tageszeit (Kinderchirurgen des LKH Graz hatten bis 23 Uhr Ambulanzdienst, dann durften sie sich im Bereitschaftsdienst niederlegen. Kam also ein Kind nach 23 Uhr und war die Zuweisung: Bauchschmerz, dann weckte der Portier ungern den diensthabenden Assistenten und wies das Kind stattdessen an die Ambulanz der Kinderheilkunde ein.) bestimmt. Ist das Kind aber einmal in einem „Schlauch“, so sind Änderungen schwer. Hatte es Appendicitis so musste man: unklare Bauchschmerzen auf die Zuweisung schreiben; hatte es keine, aber die Eltern bestanden auf einer chirurgischen Untersuchung, so musste man zum Schutz des Kindes: App! auf die Zuweisung schreiben. Denn kein Chirurg lässt sich von einem Kinderarzt was anhasen (beauftragen) – er macht das Gegenteil und selbst das ist nicht verlässlich? Weiterlesen...


Hirntumore - Craniopharyngeom

 Hirntumore sind die Angstgegner des psychosomatisch tätigen Arztes. Denn niemand wird böse, wenn ein Onkologe (Krebsspezialist) die psychische Befindlichkeit eines Patienten falsch einschätzt. Sogar, wenn sich der/die Patient*in in der Folge das Leben nimmt, wird das als Schicksal und nicht als Fehler des Arztes angesehen. Anders ist es bei einem Hirntumor. Obwohl die Behandlung bei vielen ein großes Problem ist und verstümmelnde Operationen zu großen Defiziten führen können, wird das Übersehen sehr streng beurteilt. Weiterlesen...


Kinderschutz – Hindernisrennen für Kinder

 Geschlagene und missbrauchte Kinder waren mein Schicksal. Seit meiner Tätigkeit als kinder- und jugendpsychiatrischer Konsiliararzt (ein Fach, das ich nie erworben habe) beim Jugendamt der Stadt Wien ab 1979 – 1985 verließ mich das bis zum letzten Tag im Krankenhaus 2013 nicht. Ich hatte es vergleichsweise einfach: diese Tätigkeit wollte Keine*r. Wichtig war: man macht das ausschließlich für die Kinder. Darüberhinausgehende Ziele hat man nicht. Und: Ziel ist einzig und allein, dass Missbrauch, oder Misshandlung aufhört. Darüberhinausgehende Ziele hat man nicht: weder will man die Familien verbessern noch dem Bestrafungswunsch zur Aufrechterhaltung der gesellschaftlichen Moral dienen. Es steht einem kein Urteil zu, weder über den/die Täter*in, noch das Opfer. Weiterlesen...


Intuition und Geruch

Alle Wahrnehmungsorgane dienen dem Arzt zu einer diagnostischen Vermutung. Deswegen habe ich den Computer in der Ambulanz als meinen Feind angesehen, obwohl ich jetzt mittels eines Notebooks schreibe. Der Computer lenkt ab. Wach sein, die Englischsprechenden nennen es „awareness“ ist erforderlich. Man kann das kaum steuern, ob und wann man „eingeschaltet“ hat. Zwei Episoden, bei denen ich offensichtlich eingeschaltet war, erzähle ich. Vielleicht rundet es eine Dritte bei der ich im Dunkeln blieb ab. Weiterlesen...

Der nächtliche Hirntumor 

Nachtdienste haben eine eigene Stimmung. Für den Zeitraum von 16 Uhr des einen Tages bis acht Uhr des darauffolgenden ist man mit bis zu 200 Patienten weitgehend allein, letztverantwortlich, obwohl morgen wieder alle alles besser wissen werden. Ganz stimmt das natürlich nicht, es gab und gibt Assistent*innen, Turnusärzt*innen, je ein Ärzt*in an den beiden Intensivstationen und einen Nachtdienst an der Kinderkrebsstation. Jedoch am Papier war ich für alles letztverantwortlich, sogar für die Evakuierung im Brandfall. Rund um Mitternacht machte ich Nachtvisite in allen Stationen. Meist frug ich nach den Neuaufnahmen (in der Steiermark: Zugänge genannt) und ob es ein Problem gäbe? Fieber, Beschwerden, alles was in der Nacht noch zu lösen wäre. Selten ging ich in Patientenzimmer, weil man an sich nicht grundlos die Nachtruhe stören will. Geht man jedoch hinein, merkt man, dass man meist willkommen ist. Die Kinder und deren Eltern sind nicht des Schlafes wegen im Spital. Erlebte „Überwachung“, Sorge und Nachschau werden fast immer geschätzt. Außerdem wecke ich schlafende Menschen gern, ganz im Gegensatz zu Marguerite. Weiterlesen...


Meningokokkenmeningitis – ein Todesurteil?

In einem Nachtdienst 1976 nahm ich als Arzt in Ausbildung einen dreizehnjährigen Knaben mit eindeutigen Zeichen einer Gehirnhautentzündung auf: er litt an Bewusstseinstrübung, Nackensteifigkeit, hohem Fieber, hatte kleine Punkte auf der Haut der Beine. Ich legte ihn auf die Infektionsabteilung, die von einer konservativen Schwester geführt wurde. Sie empfing mich mit den Worten: „Die kommen zum Sterben her!“ Oberärztin H. Holzer hatte ein Jahr zuvor aus der Univ.-Kinderklinik Zürich ein Behandlungsprotokoll für diese Erkrankung mitgebracht, das es als ein einfaches Blatt im sogenannten Weißbuch gab. An Hand dessen behandelte ich den Knaben, der gesund das Spital verließ. Weiterlesen...


Alpträume - Folgen seelischer Kränkungen? 

Nachtdienste haben im Grunde die Aufgabe Schwerkranke von solchen zu unterscheiden, die aus einem anderen Grund kommen. Das ist schwer, weil die Schwerkranken keinen Wimpel haben, den sie in die Höhe halten, um als solche erkannt zu werden. Der zwölfjährige Alfons war schon mehrmals wegen Alpträumen nachts in die Klinikambulanz gekommen. Er wurde jedes Mal heimgeschickt. „Wegen Alpträumen!“, sagte man mit einem Lächeln, aber schnaubend. Wegen so einer Kleinigkeit darf man nicht in der Nacht kommen und den Arzt wecken! Weiterlesen...


Das gehört dort nicht hin

Nachtdienst – Zeit Fehler zu machen, oder die anderer zu korrigieren. Bis 2011 begann ein Wochenenddienst noch Samstag acht Uhr früh und endete Montag um 9, 49 Stunden lang. In dieser Zeit war man für alles im Haus verantwortlich. Wegen starker Bauchschmerzen bei einem Fünfjährigen Knaben wurde ich in den 3. Stock der Infektionsabteilung gerufen. Wegen Bauchweh war er unter mit der Verdachtsdiagnose Gastroenteritits (Magen-Darmentzündung) aufgenommen worden. Als Vorerkrankung hatte er bei Frühgeburtlichkeit und Intensivpflege nach einer frühkindlichen Gehirnblutung eine Sonde, die die Gehirnflüssigkeit (Liquor cerebrospinalis) in den Bauchraum ableitete. Weiterlesen...


Blond und gelähmt

An einem Tag zweimal dasselbe: ein blondes, adoleszentes Mädchen, das an einer Lähmung der unteren Extremität leidet. Das muss doch dasselbe sein, dachte sich der Ambulanzarzt und schickte die beiden im Stundentakt auf meine Station. Hysterische Lähmung hieß beide Mal die Diagnose. Für die Schwestern war das einfach so und die aufnehmende Ärztin dachte sich nichts dabei. Man war also einverstanden, legte sie nebeneinander: gleich und gleich gesellt sich gern. So einfach erscheint’s. Weiterlesen...


Ein Mädchen war zu lang an der Sonne

Die Mittagsbesprechung in der Univ.-Klinik für Kinder- und Jugendheilkunde habe ich schon an mancher Stelle besprochen. Sie war intellektueller Kampf, Kampf ums Besserwissen, Kampf ums Gewinnen. Männer kämpften meist, die Frauen litten angeblich darunter, bezeichneten die Besprechung als „Hahnenkämpfe“ –  und kämpften auch. Interjektionen, kurze Schläge waren lustig, manchmal half es auch dem einen, oder der  anderen Patient*in, dass man kollektiv über sie nachdachte. Heute nennt man das Schwarmintelligenz. Weiterlesen...