Mein zweiter Orden

Die vielleicht gütige, jedenfalls judenhassende Kaiserin Maria Theresia, der ich wie alle meine Glaubensbrüder ohne jeden Anlass in tiefer Achtung verbunden bin, hatte zwei judenstämmige Minister: den Mediziner Gerhard van Swieten und den Wirtschafter Josef von Sonnenfels. Beide mussten „rechtsgläubig“ werden, um ein Regierungsamt bekleiden zu können. Sie ordneten auch die Orden, die die Kaiserin vergab, neu. Im Sinn des aufgeklärten Absolutismus sollte nicht mehr nur Militär und Staat gefördert werden, sondern auch Wissenschaft und Künste.

Gerhard van Swieten (7. Mai 1700 – 18. 6. 1772) reformierte die medizinische Universität, das Hygienewesen, die Militärchirurgie und vieles andere mehr. Josef von Sonnenfels (1732 – 1817) machte es erstmal möglich, dass die Regentin Staatsfinanzen hatte und nicht nur nach Ermessen vorging. Die weiteren Reformen, wie die der Bildung und des Justizwesens und die Einführung der allgemeinen Schulpflicht führten zu einer langen und erfolgreichen Entwicklung Österreichs. Ob tatsächlich die Kaiserin die Orden für Wissenschaft und Kunst einführte, ist mehr als zweifelhaft. Nur in meiner Wahrnehmung der österreichischen Geschichte war sie es. Nach Wikipedia war es Ferdinand I., der 1835 eine Medaille dafür schuf und Kaiser Franz Josef I. machte daraus ein Malteserkreuz, das man auf der linken Seite seines Rocks trägt.

Die Republik Österreich schuf 1955 Auszeichnungen für Wissenschaft und Kunst in drei Klassen gibt. Das Ehrenzeichen ist das höchste für besondere Verdienste, das Ehrenkreuz 1. Klasse wurde manchen meiner Freunde verliehen und ich bekam das Unterste – das Ehrenkreuz. 

In einer Managementfortbildung für leitende Beamte des Bundes im Schloss Laudon lernte ich einen ausgezeichneten Mann kennen, den damaligen Leiter des Forschungsförderungsfond (FWF) Raoul Kneucker. Er hatte es weit gebracht und wollte aber noch weiter Karriere machen. Was auch gelang, er wurde Leiter der von ihm unter Erhard Busek geschaffenen Sektion für Internationalität, also Außenminister des Wissenschaftsministeriums. Wir hatten vom ersten Augenblick an ein sehr herzliches Verhältnis. Raoul Kneucker, Sohn eines jüdischen Arztes, der Österreich 1939 verlassen musste. In einem Vaterschaftsbestreitungsprozess musste die Mutter Raouls vor der Rassenkommission glaubhaft machen, dass Raoul ein illegitimes Kind war, sonst wäre er Mischling 1. Grades gewesen und hätte das Akademische Gymnasium in Graz nicht besuchen können. Raoul hat die Memoiren seines Vaters herausgebracht und ihm damit ein Denkmal gesetzt. Raoul und ich lernten einander immer besser kennen. Für jeden von uns beiden erschien der jeweils andere als väterliche Figur. Raoul hatte seinen Vater kaum kennengelernt, meiner entfernte sich nach der Scheidung meiner Eltern. Alfred, Raouls Vater war 1960 aus USA auf Besuch nach Österreich gekommen. Er wollte erkunden, ob er zurückkommen könnte. Ernst Lothar hat den Grund: „Heimweh“ berührend dargestellt, der auch bei meinen Eltern für die Rückkehr entscheidend war. Vielleicht war Alfred Kneucker war von der Erinnerung an Wien und der Ablehnung so mitgenommen, dass ihn Ecke Währinger- /Schwarzspanierstraße – also vor der Anatomie – der Schlag traf. Raoul und ich trafen uns in den achtziger Jahren wöchentlich: ich holte ihn aus dem FWF ab und wir gingen essen, meist zum Leupold

Wir berieten einander gegenseitig. Ich begleitete seinen Aufstieg zum Sektionschef im Bundesministerium für Wissenschaft und Kunst, er mich bei meiner Habilitation. Viel später begleitete er meine Tätigkeit in Graz, manchmal fand er sogar bei seinen Visiten bei Rektoren und Dekanen Zeit für mich. Leider selten. Er war und ist der große Herr und ich der kleine Doktor, was er mich nur selten fühlen ließ.

Eine Krise überschattete sein Leben. Seine Frau und Lebensliebe Linda verarbeitete den Übergang ins Alter schlecht. Sie begab sich in Psychotherapie und leider, leider war die Therapeutin Teil der Frauenbewegung (was Linda wusste) und grub an den Grundfesten der Ehe Raouls. Linda und Raoul, die ein Vorzeigpaar gewesen waren, konfliktfreudig in der Überwindung der mitgebrachten Verschiedenheiten zwischen einem evangelischen, österreichischen Staatsdiener und einer US-amerikanischen Jüdin, wurden unglücklich. Angeblich hatte vieles am Ehekontrakt nicht gestimmt, angeblich hatte Raoul seine Karriere auf Lindas Kosten gemacht, angeblich Linda zu wenig Entwicklungsmöglichkeiten zugestanden. Wie dem auch sei: beide waren unglücklich.

Ich half so gut ich konnte. Raoul berichtete mir von den Entwicklungen und wir entwarfen Gegenstrategien, die zu einem guten Ausgang mithalfen. Leider war Raoul leichter zu helfen, als mir. Ich wollte 1990 nach Wien zurück und als Nachfolger Erwin Ringels Professor für med. Psychologie zu werden. Raouls Chef, Bundesminister und Vizekanzler Dr. E. Busek  hätte das gern gesehen. In den Dreiervorschlag der Wiener Universität schaffte ich es aber nicht, Busek empfahl meine jüdischen Kontakte zu nutzen – solche hatte zu wenig. In Graz konnte ich keine Karriere machen. Wohin mit meinem Ehrgeiz, der mit 50 noch so heiß brannte? Ein Trostpflaster: Das Ehrenkreuz für Wissenschaft und Kunst für meine Tätigkeit als Lehrer an der kath.-theolog. Fakultät der Karl Franzens Universität Graz gemeinsam mit Otto König. Schon, dass mich Dieter Binder als Vertreter dieser Fakultät einreichte war ein kleines Wunder, das nur in dem Moment und an der Stelle passieren konnte. Später wurde eine Professur für christlich-jüdische Themen geschaffen. Otto und ich waren damit abgeschafft. Wir hatten jüdischen Alltag, jüdisches Leben mit Geschichten und Geschichterln vorgetragen und gemeinsam erarbeitet, aber keine hermeneutische Wissenschaft. Die Student*innen begannen auf einem für mich überraschenden Niveau: Zuerst wollten sie wissen, ob Juden an Jesus Christus glauben. Dann nannten sie die hebräische Bibel: altes Testament, was den interreligiösen Dialog eher behindert. Warum das Osterfest beweglich ist, war ihnen nicht bekannt wie denn auch? Dass kein jüdisches Fest beweglich ist, wenn man den jüdischen Kalender benutzt war ebenso unbekannt, wie der Kalender selbst. Es waren lustige Jahre in denen auch die theologisch-ethische Vergleichbarkeit von Beschneidung und Taufe besprochen wurde. Dass plötzlich Theologen körperliche Unversehrtheit bedeutender fanden, als die seelische war nicht nur komisch, sondern ergab Stoff zum Nachdenken. Zuletzt zerbrach dieser lustige Unterricht, den ich ohne Einkommen abhielt, an einer Reise nach Israel. Ich wollte in Ägypten beginnen, da die Reise: „Auf den Spuren des 1 Testaments“ hieß. Der mir zur Seite gestellte Organisatior Dr. Raab fand das zu gefährlich, bis die Reise verunmöglicht wurde. Zuletzt traf mich der Dekan der kath.-theolog. Fakultät Prof. Maximillian Liebermann, um mir mitzuteilen, dass ich nun kein Geld mehr von der Fakultät bekommen würde. Ich hatte nie Geld bekommen, Liebermann wand sich in Schuldgefühlen und schenkte mir zwei seiner Prachtbildbände über katholische Geschichte.

Raouls Unterstützung des Ordensantrags half mir sicher mehr, als ihm meine kleinen Strategieempfehlungen. Mag sein, dass sich mein Mechanismus mir einen starken Freund zu suchen, wieder einmal als hilfreich erwiesen hatte.