Donnerstag, 16.Jänner 2020 - Ein Traum

Manchmal muss man scheinbar kontinuierliche Texte unterbrechen. Schon wegen der Spannung. Nicht, weil ich ein experimenteller Schriftsteller bin. Ich bin kein H.C. Artmann, kein A. Okopenko – das meiste was die schrieben, verstehe schwer. Eine E. Nöstlinger verstehe ich vielleicht noch, aber am einfachsten einen Max Perutz, oder einen Josef Roth, wenn’s denn Zwischenkriegszeit und Wien sein soll. Heute träumte mir ein Krimiausschnitt, der so wie schon meine Klinikträume deutlich zeigte, dass ich für den Müßiggang nicht, oder noch nicht bereit bin. Lesen Sie und urteilen Sie selbst.

Es ist eine Sitzung am Schiff. Es ist eher ein Fährschiff, denn ein Ozeankreuzer. Eine Gruppe Menschen, der ich angehöre, sitzen bei einer Besprechung an einem ovalen Tisch in einem hellen Raum. Ein junger Mann, langhaarig und in schäbiger Privatkleidung stürzt herein. „Das Kind!“ ruft er: „das Kind ist weg!“ Schnell stellt sich heraus, dass er auf das Kind eines im Raum anwesenden Offizierehepaars auszupassen hatte. Ich weiß, dass das Kind zu allem Übel etwas behindert ist. Er hat es allein gelassen, so sagt er, um sich ein Bier zu holen. Er war plötzlich durstig. Einer meiner Nachbarn, Vater des Kindes herrscht seine Frau an, sie soll das Kind suchen gehen. Dir Frau steht auf und verlässt stolz und sichtlich ang‘fressen den Raum. Man hört ihre hochhackigen Schuhe auf dem Schiffsboden und sieht ihre Rückseite in einem engen, weißen Rock ihrer Galauniform.  Der Mann will ihr nachstürzen, um sich zu entschuldigen. Ich halte ihn zurück. „Wieso willst Du immer so ein Waschlappen sein? Bringt Dir das Erfolg?“ frage ich ihn. Er ist geknickt und bleibt. 

Ich weise den Kindermann an zum Kapitän zu gehen, um Alarm auszurufen, damit alle Menschen an Bord den Kleinen suchen. Er will nicht. Es sei ihm zu teuer. 125.- britische Pfund kostet das, so viel hat er nicht einmal. Ich schau ihn genauer an. „Kommen Sie näher,“ sage ich schmeichelnd. Ich rieche. Er riecht nach Rauch. „Sie waren kein Bier trinken, sie riechen nur nach Rauch und nicht nach Bier.“ Der Kindermann wird rot. Ich schaue zum Ehegatten und Vater. Der schaut komisch, aber ahnungslos zurück. „Der Grund warum sie das Kind allein ließen war ein anderer. Hatten sie ein Stelldichein mit seiner Mutter? Vielleicht sogar am Klo, oder in der Kabine?“ Der Kindermann wird noch röter, ich habe längst die Gerüche des Sex an ihm wahrgenommen: Schweiß, Gummigeruch, Vaginalsekret und das Parfüm der Offizierin und Kindsmutter. „Glaubt Deine Frau, dass Du an der Behinderung eures Sohns genetische Schuld trägst?“, frage ich meinen Sitznachbarn: „Läuft sie deshalb mit ihrem Kinderwunsch, wie eine läufige Hündin herum und sucht einen Besamer? Und ist ihr schon bald recht? Jeder von uns und sogar das Weichei da.“

Nun wird der Offizier an meiner Seite rot. Wieso er mich nicht schlägt, weiß ich nicht, manchmal sind meine Träume gütig, vor allem morgens, wenn ich erwache und anschließend ins Fitnessstudio gehe.

Im Traum bin ich wie Hercule Poirot, oder fühle mich zumindest so. Ich muss in der Runde, in der ich sitze, eine sehr gute Position gehabt haben. Jedenfalls kein einfacher Mitarbeiter gewesen sein. Kapitän kann es auch nicht gewesen sein, also werde ich schon als Arzt teilgenommen haben. Als Arzt, Psychotherapeut und Menschenkenner, Menschenerkenner. Als ich aufwache repariere ich meist meine Träume. Den muss ich nur aufschreiben. Wie gern – so scheint’s – bin ich klug, wichtig und einflussreich. Das scheint mir trotz allem Luxus am Schiff abzugehen. Ich muss mich fragen, ob ich nicht wieder wichtiger werden will? 

Doch halt: wollen Sie noch den 3. Stock kennenlernen? Dort ist achtern eine Weinbar in der praktisch niemand Wein trinkt. Nichtsdestotrotz wird jeden Tag das Display des Ferrari-Sekts aufgebaut, die Weine präsentiert. Dort spielt abends ein Duo bestehend aus einer Pianistin und einer Geigerin. Wir haben da schon viel erlebt: es gab Musiker*innen, die das Stück, das sie spielen wollten, ansagten. Es gab Musiker*innen, die am Ende sagten was sie gespielt hatten. Eine sehr attraktive, um nicht zu sagen hysterische Geigerin unterhielt den ganzen Raum. Diesmal schauen beide Frauen nie ins Publikum, sie scheinen sich zu schämen, dass sie in einem Durchgangszimmer spielen. Alle paar Minuten – vor allem rund um Beginn und ende der Essenszeiten – gehen Paare durch, schuhe klackern und es wird bisweilen laut gesprochen. Nicht Jede*r respektiert die Musik und manche setzen sich über die strafenden Blicke der Zuhörenden hinweg. Diese schauen andächtig, so wie sie es zu Hause gelernt haben.

Geht man weiter kommt man auf die Galerie der Grand Bar und sieht auf die beschriebene Weltkugel hinab und auf die oft zu viel trinkenden Menschen. Die wahrhaften Drogenhändler unserer Tage, also die alkoholische Getränke ausschenkenden, gutgekleideten Angestellten lachen und machen Späße, werfen Shaker in die Luft und ähnliches mehr.

Dann kommt der Fotoshop: irgendwie traurig. Meist werden die Menschen während der Galaabende zwischen den Gängen der Mahlzeit fotographiert. Die meisten schauen gestört in die Kamera, manche sehr ernst, aber fast alle unvorteilhaft. _Diese Bilder werden um fast 30.-€/Stück verkauft, es gibt spezielle Angebote, die verkaufenden Fotograph*innen stehen lange um die Tische auf denen die Fotos in Kisten lagern, herum. Da hilft nur eins: schnell vorbeigehen und an Geschäften vorbei in denen Talmi (wie schön dieses aus der Mode gekommene Wort wieder einmal verwenden zu können) angeboten wird. Diamantketten mit 14karätigem Gold und kleinsten Splitterchen um 879.-€, dazu einen Ring um 1/3 des Preises und Uhren, Uhren, Uhren, die schön aussehen. Auf der ersten Weltreise wollte ich sogar eine Citizen Weltuhr, die automatisch über Funk eingestellt wird, kaufen. Ich fand beim xten Mal anschauen einen Mann, der mir dringend abriet: Sie stellt sich nur dann ein, wenn sie das Funksignal erkennt. Man muss ihr sagen in welchem Land man ist und zu allem Übel macht das Schiff seine eigene Zeit, die auch davon bestimmt wird, dass sie sich ausschließlich an Seetagen ändert, weil sonst zu viel Verwirrung entstehen könnte. Der, der sie kaufte, ein sehr beleibter münchner Grafiker, der mit einer Anwältin aus Savonna zusammen war, war verdrossen. Er lebte allein und stellte fest, dass ihm das geldausgeben, das seinem Leben seit Jahrzehnten Sinn gab, keinen Spaß mehr machte. Nur die Uhr machte ihm kurz Spaß. Seine elegante Partnerin war meist unter Deck und tratsche mit ihren Freundinnen, spielte Bridge und Baraccoa und schien ihn zu verachten. Also kein Talmi und auch sonst nichts.

Jedoch die Amarilla Bar, die sollten sie noch kennenlernen: in Rot, Rose und Resedagrün gehalten, bedient dort eine kleine, blondgefärbte Kellnerin, die mit dem Wackeln ihres Hintern so manchen begeistert. Sie verkauft Eis, Kaffee, Crêpes, Kuchen und Pralinen. Sie ist die Praline der Bar. Der elegante Musikdirektor des Schiffs, ein wie ein italienischer Adeliger mit Falkennase aussehender Mann, der jeden Tag ein frisches Oxfordhemd und eine hellblaue Krawatte trägt und Sänger*innen für den Chor castet, ist vielleicht auch wegen der Eisprinzessin dort. Wer weiß. Ich genieße den Anblick jedenfalls jeden Tag nach den wunderbaren Vorträgen Professor Scopellitis Emeritus der Universita Sapientia in Rom, der uns heute zum Beispiel die Rolle der portugiesischen Seefahrer und ihre Eroberungen nahebrachte. Da fällt mir ein, eine Bemerkung zum Tag wäre noch angebracht: ich habe heute mit dem sizilianischen Trainer ein 20 halbestundenbetreuungspacket abgeschlossen und ein Circuit Training gemacht. Hätte ich nicht in der Früh schon 12 Minuten Handrad, 2x alle Oberkörperkraftgeräte und 20 Minuten Sitzfahrrad, sowie Runden auf Deck gedreht, wäre das gut gewesen. So habe ich halt Muskelkater und freue ich auf den Effekt.

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