Mittwoch, 4. März 2020 - Sydney und Ende 

Wir lagen vor Madagaskar und hatten die Pest an Bord.

Das alte Seemannslied: „Wir lagen vor Madagaskar und hatten die Pest an Bord!“ ist das Motto des Tages. Wie bei Wolf Hass Krimis höre ich diese Melodie in der bei Haas die Lösung des Falls enthalten ist. Bei mir mein Schicksal. Bei: „Komm süßer Tod!“ hört Brenner innerlich eine Bachkantate, die er als Ministrant gesungen hat. Josef Hader spielt den heruntergekommenen Typen, einen ehemaligen Polizisten und Rettungsfahrer aus klassisch-österreichisch-bäuerlichem Hintergrund so, dass es im Film fast nicht auffällt wenn die Kantate gespielt wird. Warum er nicht auf die Melodie hört und die Aufklärung des Missbrauchs in Kirche und Kunst nicht schneller gelingen ist ebenso schwer verständlich, wie unsere Entscheidung.

„Es ist unjüdisch zu bleiben!“, sagte ich während wir die Ente aßen. Die Route der Weltumsegelung war geändert worden, vielleicht erinnern Sie sich noch daran. Die Costa deliziosa segelt nun Australiens Südküste entlang bis sie von Freemantle am Weg nach Madagaskar sieben Tage lang den indischen Ozean überquert. Madagaskar hat aber alle Häfen für Kreuzfahrtschiffe gesperrt. Die einzige Insel auf der Welt, auf der Pest noch vorkommt hat, bekämpft Schiffe als tendenzielle Infektionsherde. Ein Rektor einer katholischen Hochschule machte vor Jahren an der WU-Wien einen MBA. Ich fragte ihn: „Warum kommen Sie von nach Österreich und wollen in der Wirtschaft arbeiten?“ Er antwortete: „Sie kennen Madagaskar nicht!“ Korruption, Misswirtschaft, Kolonialismus, Armut, Not und Epidemien – das ist sein Madagaskar. Nur die Zeichentrickfilme geben ein anderes Bild. Dass saubere, hygienische, ärztlich bestens versorgte Europäer plötzlich von Madagaskar als Infektionsherde angesehen werden, das ist zu viel. Denn wenn es so wäre, dann sollten wir das Schiff sofort verlassen und wenn es nicht stimmt und es „nur“ eine Hysterie wäre, dann haben wir das nicht nötig. Nicht erst die Shoa hat uns gelehrt nicht zu verweilen, wo es Zeichen an der Wand darauf hinweisen, dass es letzten Endes schlecht ausgehen kann. Meine Familiengeschichte ist reich an Ermordeten, die blieben. Überlebende kennen Hermann Hesses Gedicht: „Nun heb Dich auf und wandre!“. Wenn das möglich war. Bei Hesse ist das Leben eine Reise durch Räume: „Mag sein, dass wir nach dem Tod noch einen letzten Raum durchwandern …“ Das Gedicht vereint Hesses christliches Erbe und Buddhismus mit der ewigen Wiedergeburt. 

„Wir lagen vor Madagaskar und hatten die Pest an Bord!“ Ein Kreuzfahrtschiff liegt in Quarantäne in der Nordsee, die angeordnete Quarantäne der Princess Diamond vor Japan hat unnötig viele Menschen getötet. Vielleicht würden sie bei schneller Evakuation noch leben; in Wien ist eine Verwandte in Quarantäne, weil ihre Kollegin im Büro positiv auf SARS Cov-19 getestet wurde. Vieles verstehe ich nicht: wieso in der Schweiz und Österreich alle Veranstaltungen mit mehr als hundert Personen abgesagt wurden, aber die Menschen trotzdem mit Zug und Bus fahren dürfen; wieso die Menschen in Quarantäne sind, aber ihre Partner*innen nicht; wieso Menschen Hamsterkäufe machen, aber Restaurants offen halten; wieso noch Schiffsreisen gestartet werden und die AIDA erst kürzlich Japan und den Fernen Osten nicht mehr anfährt? Vieles erscheint unlogisch, so wie am Schiff, wo man beim Büfett neuerdings die Teller und das Besteck gereicht bekommen, so als ob dort Keime ausgetauscht werden könnten. Wieso man sich neuerdings am Schiff unter wachsamen Augen die Hände vorm Essen desinfizieren soll – unklar. Sollen die Gäste auf eine Infektion vorbereitet werden? Ich bin schon zweimal vorm Essen davongelaufen, weil mir das Mittel stinkt.

Es sind, zugegeben, kleine Zeichen, Warnungen, die ich wahrnehme. Ich bin wie Erwin Ringel sagte: „Scherli, Du musst Dein Ohr nicht auf den Boden der Prärie legen, um das Hufgetrappel zu hören. Du hörst schon, wenn die Indianer auf ihre Pferde steigen!“ Mag sein, mag sein, dass die Geschichten der Shoa, wo in meiner Jugend immer derselbe Satz gesagt wurde, das ausgelöst hat. Es hieß: „Man hat doch sehen können was kommt. Wieso ist man geblieben?“ Meine Oma antwortete: „Die Kundschaft aus Deutschland hat mir im Geschäft in der Plankengasse gesagt: „Es ist wie ein goldener Käfig. Aber wenn die Nazis einmal an der Macht sein werden, werden sie den Mob vertreiben, vielleicht die Juden nicht mögen, aber sich beruhigen.“ Man täuschte sich, keiner konnte das Ausmaß der Ermordungen voraussehen, keiner industrielle Massentötung erahnen. Sehen konnte man, dass eine Macht ans Ruder kam, die Beispielloses forderte. Wahrnehmen konnte man, dass die Juden nirgends gewollt waren. Vielleicht wollten die Nazis die Juden loswerden und erst als fast kein Land sie aufnahm, begannen sie mit Massentötungen. Das sollte angesichts der sogenannten Flüchtlingskrise, die in Europa dieser Tage wieder virulent wird, überlegt werden. Unser Tischnachbar Peter, der uns zeigte wie man ein Meilenticket am günstigsten bestellt, sagte: „Was machen wir, wenn die tausenden Flüchtlinge, die jetzt auf griechischen Inseln landen, an SARS-Cov 19 erkranken? Dann haben’s alle.“

Es geht nach Hause. Ich danke allen Leser*innen für ihr Interesse und ihre Aufmerksamkeit. Sämy hat mir ein liebes Feedback gegeben: „Dein Blog ist für mich eine Mischung aus Parascha Schawua (wöchentlicher Thoraabschnitt) und Laute aus dem Nirvana. Lache immer. Vielleicht werde ich auch Schreiben als Therapie anfangen.“ Vielleicht ist es für Sie Therapie, vielleicht war es Freude, ich danke Ihnen allen und lade Sie herzlich zu meiner Buchpräsentation am 26.05. 2020 um 19 Uhr in die Thalie Buchhandlung gegenüber Bahnhof Wien Mitte, ein. Aiorana – und Servus in Wien.

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