Wanderungen in Teneriffa

Im Herbst 2020, genauer gesagt im November, ist es nicht selbstverständlich, dass ein Österreicher in Teneriffa wandert. Die Menschen in der Heimat sind eingesperrt. Um das nicht so zu sagen ist das englische Wort „Lock-down“ gang und gäbe geworden. Man schreibt es sogar schon groß, wie wenn es ein Lehnwort wäre. Alles nur, um nicht einsperren sagen zu müssen. Dort ist es sonnig, so wie hier, aber hier hat es 23 – 30 Grad und dort 0 – 10. Ringsum blüht’s, obwohl hier Herbst ist. Die Kastanien poppen aus ihren stacheligen Ummantelungen, die Spitzen der übermannsgroßen Weihnachtssterne werden rot.

Es ist Sonntag früh sechs Uhr. Los Realejos schläft noch, selbst der abends und morgens stundenlang kläffende Hund des Nachbarn ist ruhig. Das Morgenrot zeigt sich über dem Anaga-Gebirge und färbt den Abhang des El Teide rot. Der Abhang, der vom Sender zu dem Aussichtspunkt La Corona zieht, wird hell und von der Ferne sieht es wie frisches Grün aus, was darauf wächst. Ich war dort eines anderen Tags. Es sind die wasserspendenden einheimischen Kiefern, die aus der Nähe betrachtet graue schlanke Stämme sind an deren oberen Ende ein paar flechtenartige Zweige grün sind. An ihnen läuft das Wasser aus den Nebeln, sie sich fast jeden Nachmittag vom Meer  auf 5 – 900 Meter erheben hinab. Die an den Kiefern abrinnenden Tropfen sind die Süßwasserquelle der Insel. 

Ich ziehe mir eine „Wanderhose“ an – sie ist mit einem klassischen Stück dieser Gattung nicht vergleichbar. Sie ist aus schwarz mit Innenhose und aus Erdöl, hat Reflektorstreifen  und beidseits Taschen für Handy und Kopfhörer, sowie einer Zipptasche hinten. Ich hab‘ die Hose gern – ich kann telefonieren, Radio hören, Schlüssel und Geld mitnehmen. Dazu trage ich ein hellblaues Calida Sporttshirt mit Muster. Es ist weich, transportiert den Schweiß nach außen, außer die Riemen des Rucksacks verhinderen’s.  Ich habe aus Österreich keinen Wanderrucksack mitgenommen, ich dachte meine Tochter und mein Schwiegersohn, die seit drei Monaten hier wohnen, hätten einen. Falsch gedacht: sie haben beide je einen Stadtrucksack aus Leinen und Leder – unverwendbar fürs Wandern. Also im Geschäft um die Ecke einen schwarzen Plastikrucksack gekauft, leicht aber viel zu groß und dazu eine Aluminiumwasserflasche mit innerem Strohhalm in Lila. Jetzt in der Früh noch schnell mit Sonnenschutzmittel Nivea Faktor 50 eingesprüht, es brennt in den Augen. Tears again - das Mittel gegen mein „Trockenes-Auge-Syndrom“ darf ich nicht nehmen, mit Schweiß gemischt brennt die Hyaluronsäure entsetzlich.

Zum Berg gewandert. Aus der Türe des 250 Jahre alten Hauses meiner Tochter und ihres Mannes Andreas, nach der Kopfsteinpflasterung, die die Basis der Einfahrt im Hauseingang ist, gehe ich die steile Straße hinauf, dem Hundekot ausweichend, der seit letzter Woche auf den Straßenkehrer wartet, der am Montag kommen wird. Der Straßenkehrer wird wieder schimpfen, auf die Hundebesitzer maulen und ich werde nur das Wort: „Pero“ verstehen. Die einspurige Straße, in der das Haus steht, teilt sich nach 50 Metern in eine noch engere Gasse, die steil bergan zieht und in Straße mit der 170 Gradkurve vor der Kirche die die Autos nehmen, die von der Nordspitze der Insel kommend zur Autobahn fahren. Danach übernehmen die Hunde meine Geräuschkulisse: von den Dächern, den Balkonen, hinter Absperrungen und an kurzen Ketten bewachen sie die Häuser. Alle bellen, wenn ich vorübergehe, nur die vor denen ich mich bei meinem ersten Gang so gefürchtet habe, dass ich umdrehte – sie sind ruhig, sie kennen mich schon. Mag sein, dass Annas Mut den an der Kette liegenden, großen braunen Hund zu berühren und zu streicheln meine Bekanntheit bei ihnen erhöht hat und sie mich seither grüßen.

Ich muss mich entscheiden: gehe ich zum Sender nach Mirador de Asomodero hinauf und von dort zum Mirador La Corona oder mache ich es mir heute gemütlicher und gehe zwar zum Pico de los Pavos und kann jederzeit nach Alto Realejo aussteigen und zurückgehen? Beide Wege sind ungefähr sieben bis acht Kilometer lang, der zum Sender etwas steiler, ab der Mitte des Weges fast ausschließlich Stufen, deren jede sicher über 70 Zentimeter hoch ist. Heute, Sonntag den 22.11.2020 gehe ich’s gemütlich an. Ich rufe Marguerite an – und wirklich – sie hebt ab, hat Zeit und Lust mit mir zu reden. Sie lässt sich sogar auf mein Gesülze ein, ich zeige ihr blühende Azaleen, Bäume mit Zitronen in Niedrigwuchs mit Avocadobäumen dahinter. Während wir reden schicke ich ihr die Bilder und sie ist so entspannt, dass sie die Bilder am Handy sehen kann. Wir gehen langsam miteinander, ein altes, vertrautes, glückliches Paar verbunden durch für uns nicht-verstehbare Technik über tausende Kilometer Entfernung. Beim Panoramablick mit dem Kloster im Otravatal werde ich frech. Ich frage Marguerite nach ihren Geschichten, ihren Erlebnissen und sie sagt, wie eigentlich zu erwarten war, sie plane. Plane Familienzusammenkünfte, erfrage von den Kindern wie sie sich angesichts der Einschränkungen durch die Einsperrung Familienzusammenkünfte zu Chanukka und; wolle wissen wie jeder und jede darüber denkt, was sie um diese Zeit machen werden, welchen Ort wir möglicherweise auswählen könnten? Eine ganz andere Art der Romantik, es werden Pläne gemacht, Alternativen bedacht, nach 1 ½ Stunden endet unser Gespräch. Ich musste mich für die kürzere Strecke entscheiden, ich hatte die lila Wasserflasche am Vorabend gerichtet und – vergessen! Es ist nicht immer angenehm älter geworden zu sein. Der Abstieg auf den steilen Straßen geht sehr gut, obwohl ich meine Bergschuhe nicht enger gemacht habe, was ein Fehler war. Die Zehen im Schuh werden krumm und schmerzen noch nach Stunden. Beim Abstieg sehe ich verwunschene Gärten in denen Bananen neben Passionsfrüchten wachsen, Kürbisse schlingen sich allenthalben auf die Gitter der Zäune und die Stufen der kleinen Terrassen. Küchenkräuter umrainen Beete in denen Paradeiser und Zwiebel wachen – noch letzter Woche sah ich hier neun neugeborene Kätzchen, die ein Zuhause suchten. Vielleicht hat man sie verschenkt oder getötet, sie waren jung, weiß mit braunen Flecken an Ohren und Nase, manche hatten die Farbe am Rücken oder Bauch. Vom Dach eines Betonquaders bellen zwei Hunde und laufen oben talwärts um mich weiter zu verbellen. Sie passen auf eine Hühnerfarm auf an deren vergitterten Lüftungsrechtecken Federn kleben. Ein Rohr ragt aus dem Gebäude, es ist mit zwei Kübelfortsätzen verlängert, an ihm klebt eingetrockneter Hühnerdreck. Offensichtlich wird der Dreck mit schwerem Wagen abgeholt, denn in dem Boden sind metallene Schienen eingelassen auf denen die Räder stehen werden. 

Wenige Menschen sind um ½ 11 Uhr auf der Straße, sie grüßen. Ein Mann bietet mir einen Rosenkopf an. Er selbst hat zwei Rosenköpfe mit einem kleinen Taschenmesser über den Zaun reichend aus einem an der Straße liegenden Garten geschnitten und will sie in seine Einkaufstasche stecken. Aber der kleine Wagen mit zwei Rädern, der für eine solch eine Tasche gedacht wäre, ist leer. So steckt er die Rosenblüten in seine Hosentasche. Er bietet mir eine Blüte an, allein seine Sprache ist durch den Stumpen in seinem Mund und den Dialekt für mich unverständlich. So wünsche ich einen „Schönen Tag“ und ziehe beschwingt bergab.