Freitag, 17. Jänner 2020, Seetag

Die Träume formen den Tag, so sagt man. Zuerst lächelnd erwacht, aber leider war’s erst 04:35, jedenfalls auf Marguerites Handy. Also nochmals schlafen, aber ich hatte schon sechs Stunden geschlafen und mehr brauche ich nicht. So beginnt mancher Tag und manchmal ist es fröhlich und manchmal nicht. So war es heute.

Ich bin mit einem schlecht endenden Traum erwacht und habe mich immer wieder kurz erholt: an Deck beim Sonnenaufgang ging’s gleich besser. Runde um Runde und dann kam noch Marguerite zum. Sonnenaufgang, obwohl sie dafür ihr Sitzrad im Fitnessraum verlassen musste und wir schauten der Sonne zu wie sie aufging. Wenn sie da ist, kann man nicht mehr hinsehen. Für mich eine Metapher auf die Schwäche des Menschen und sowieso bin ich nach dem Sonnenaufgang minutenlang blind.

Dann las ich das Horowitz Buch über die 100 Österreicher und stellet fest, dass ich keinem der 100 das Wasser reichen kann. Sei es Schrödinger, der schon als Gymnasiast besser als sein Physiklehrer war, sei es Ch. Ransmeyer, oder Josef Roth – alle genannten von denen ich den einen, oder anderen kennen gelernt habe genial, einmalig und bewundernswert. Ich hatte eine bessere Zeit als die meisten und fühle mich klein. Sicher, ich sollte mich nicht vergleichen. Wie komme ich überhaupt dazu. Aber ich vergleiche mich, jeder – so glaube ich – vergleicht sich, immer und überall. Ob ich am Schiff reichere als mich treffe (was sehr häufig ist), oder solche die besser das, oder jenes können, jedes Mal vergleiche ich mich. Wieso auch nicht? Es gibt nur ein vergleichendes Denken, wir können nur sagen: Das ist klein, weil wir größeres kennen. Und umgekehrt.

Die Tanzkurse an Bord werden dreimal am Tag angeboten. Ich ähnle einem Deutschen, der sich toll vorkommt. Diesmal hat er zarte Tanzschuhe mit, seine etwas behinderte Frau auch. Sie nehmen teil. Er lächelt. Er bewegt sich wie ein Stock auf Beinen, die Behinderung seiner Frau scheint das noch zu verstärken. Das stimmt nicht. Er bewegt sich mit den anmutigsten Tanzlehrerinnen ganz gleich. Ich auch. Ich wäre so gern anders als er. Er nervt mich und ich verstehe die Französin, die mich böse anschaut, besser und besser. Doch ich lerne Walzer, frische die Schritte auf und tanze in mit einer französischen Maria. Ich lerne mich zu heben und zu senken und erkenne erstmal, dass ich vor und zurück gehen muss. Ob’s viel hilft sei dahingestellt.

Aber ich schulde Ihnen, liebe Leser*innen viel mehr als meine Innenschau. Obwohl es gerade das ist, was durch eine Folge von Seetagen mehr oder weniger unausweichlich kommt. Das Meer ist blau, der Ozean erscheint unendlich, am Zenit ist der Himmel azurn und wird gegen den Horizont hin Türkis. Denn das, was ich Ihnen zu schulden glaube ist der 9. Stock.  Das ist der Treffpunkt aller. Fangen wir wieder beim Bug an: dort liegt das Wellnesszenter Samsara genannt – hier gibt es eine dazugehörige Rezeption und den ganzen Tag stehen zwei Masseurinnen davor und versuchen Massagen. Friseurleistungen und Pediküre zu verkaufen. Danach kommt eine riesige Halle in der ein Schwimmbad und zwei Whirlpools sind. Man sitzt dort am Rande, geht meist durch, manchmal sind dort Shows, oder abendliche Feste (die wir hören, weil wir genau darunter unsere Kabine haben), dort wird zweimal täglich geturnt und Rückengymnastik angeboten.

Geht man weiter kommt zu zwei langen Schläuchen in der es morgens und mittags Buffet gibt: morgens werden an der Querseite Eier frisch gebraten – Omelett, Rührei und Spiegelei mit allerlei Zusätzen; daneben gibt‘s Würste und Lachs, ums Eck Obst und Gemüse, Salat, Tee, Kaffee, Schokolade, Fruchtsäfte und Wasser. Mittags gehen Kellner*innen mit Bier, dreierlei Wein und Mineralwasser herum. Hier kann jeder etwas finden. Meist machen die deutschsprechenden am Morgen den Anfang und die Italiener das Schlusslicht. Für sie gibt’s ein eigenes Spätaufsteherfrühstück bis 11 Uhr. Das ist nicht selbstverständlich, weil um 12 Uhr Mittagessen an derselben Stelle gegeben wird. Helmut und Friederike aus Spittal/Drau essen um sieben Uhr Frühstück und sind um 12 wieder hungrig, oder jedenfalls gewohnt zu essen. Sie sitzen an immer demselben Platz, den sie als ihren erleben. Sie haben, weil sie bei den Mahlzeiten die Ersten sind. Er war der Drucker von Spittal, scheint ein guter Geschäftsmann zu sein. Sie kommen durchgehend in rot und orange gekleidet, liegen den ganzen Tag in der Sonne achtern. Er ist freundlich und man spürt die Aggression, die sie beide haben. An ihrem Herrschaftssitz am Heck des Schiffs bleiben Menschen stehen, man spricht und lacht. Nach meinem Kabarett bei der letzten Weltreise wollte er mein Buch. Ich gab’s ihm nicht. Aus Blödheit. Wir machten aus, dass ich es ihm schicke. Ich weiß nicht, ob ich das gemacht habe. Jedenfalls haben wir einander beim Einsteigen in Venedig begrüßt und er hat sich für das handsignierte Buch bedankt. Da ich vom ihm weder eine Adresse habe, noch einen Dankesbrief nehme ich an, dass das zynisch gemeint war. Ich habe jedenfalls geantwortet: „Gern geschehen“ und bin daher aus seiner Kommunikation ausgeschlossen, denn er muss sich denken: Dement, oder noch zynischer als ich. Das wäre nichts für ihn.

Zu Mittag gibt’s allerlei am Büfett: das täglich andere Spezialitätenbuffet, das dann gut ist, wenn es italienisch ist. Mozzarella Spezialitäten beispielsweise, oder Nudelgerichte. Wenn es wie heute Sushi gibt, dann fehlt der Japaner, der das kann. Am deutschen Büffett, wo Sauerkraut und Würstchen, sowie Buletten gibt trafen wir Vladimir, einen blutarmen  Vegetarier mit scharfkantigem Gesicht. Er entfernte aus dem Sauerkraut den Speck und aß dann Brokoli und Karfiol. Er erzählte, dass er 1978 aus der Tschechei nach Deutschland auswanderte und heute bei Kobenz als Arbeitsmediziner arbeitet. Da seine Frau das Meer nicht mag, fährt er vier Monate allein mit dem Schiff. Er war sehr verhalten, fast anakastisch und es passte, dass er sich Zahlen gut merken kann und eigentlich Mathematiker werden wollte. Dann probierte er noch Maschinenbau und entschied sich für das leichteste Studium aus seiner Sicht: er wurde Arzt. Kein Helfer, sondern ein Rechner, vielleicht ein guter Arbeitsmediziner, kein Arzt in meinem Sinn. Ein Gespräch war eigentlich nur möglich, weil wir uns, ohne ihn zu fragen an seinen Tisch gesetzt hatten. Die Verabschiedung war überraschend herzlich. Vielleicht hatte seine Miene Menschen bisher abgehalten mit ihm zu reden.

Abends wird im 9. Stock von 18 – 24 Uhr Pizza serviert. Aber genug vom Essen, das tollste ist achtern, dort wo Helmut „wohnt“. Es sind das die zwei Freiluftwhirlpools, die wir täglich besuchen, die Freude und Muskelentspannung bringen. 

Komisch, dass ich in so einem Leben auch traurig sein kann. Alles ist gut, das Leben ein Vergnügen. Ich glaube ich höre mit jeder Essenseinschränkung auf. Alle sind dick und ich habe seit fast 20 Jahren nichts zugenommen. Also lieber gut essen als traurig sein.

Abends haben wir einen Shabbatvorabend organisiert. Francis aus Paris hat den Segen gemacht und ein paar Worte zur Frage geäußert warum man Gutes schnell machen muss. Er erzählte eine Begebenheit vom Hofe eines Rabbiners im ehemaligen Polen, obwohl der ein Sefarde ist, erzählte er eine aschkenasische Begebenheit des vernichteten Ostjudentums. Der Rabbi lud am Rosh Chodesch, dem Beginn des Monats immer arme Menschen zum Essen ein. Er erfüllte damit das Gesetz der Wohltätigkeit. Allerdings gab er allen seinen Gästen am Beginn der Mahlzeit am Samstagabend ein verschlossenes Kuvert. Sein Schüler fragte: „Rebbe, ihr ladet doch die Leute schon zum Essen ein. Warum gebt ihr ihnen auch noch Geld?“ da antwortete der Gastgeber: „Wenn ich ihnen am Anfang der Mahlzeit nichts gebe, werden sie sich die ganze Zeit fragen was sie machen werden, wenn sie nach Haus kommen. Frau und Kinder werden hungrig sein und etwas erwarten. Meine Gäste werden sich schämen, weil sie satt sind und die anderen nicht. So gebe ich Ihnen am Anfang der Mahlzeit Geld und sie können beruhigt und mit Appetit essen.“ Wenn’s nicht wahr ist, ist’s doch zumindest gut erfunden.

Danach gibt’s eine Vorführung eines Trios im Duse Theater: Ein glatzköpfiger Herr sitzt mit dem Rücken zum Publikum und singt. Er wird von einem Schlagzeug und einer Bassgitarre begleitet und singt unter dem Titel: Reise um die Welt neapolitanische Lieder. Dann dreht er sich um, verbeugt sich und geht ab. Als Zugabe, die das Publikum vehement fordert, bringt er O sole mio – das sollte keiner mehr machen, da gibt’s es zu viele wuderbare Vorbilder. Insgesamt, mit einem kleinen Abendessen bestehend aus einem Stückchen Fisch und einem Salat, ist es doch noch ein guter Tag geworden.

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