Mallorca - Insel einer Arbeit.

Die Erinnerungen an outdoor Trainings als Beginn des Masterlehrgangs der Wirtschaftsuniversität Wien, sind auch Erinnerungen an Unfälle, Krankheiten und Unplanbarem. Ich habe dieses Training mit Helmut Kasper erfunden und abgehalten. Viele „Erfindungen“ machten wir, lebten drei Tage im Geiste Erzherzog Ludwig-Salvators, oder des scholastischen Philosophen Ramon Lull in den Bergen Mallorcas, der Sierra Tramuntana. Das alte Kindheitsmuster wiederholte sich: hinter dem Stärksten der Zweite sein. Helmut nannte mich oft das Designgenie, weil ich Vorschläge zu Gruppenübungen machte und die Stimmung in den Gruppen abschätzte.

Wir trainierten Manager*innen in einem selbstgestrickten outdoor-Modul der Wirtschaftsuniversität Wien in den Bergen Mallorcas von zirka 1998 - 2012. Etwa 2009 infizierte ich mich mit einem Stuhlkeim. Ich glaube es passierte beim Abschlussessen, das mein Freund und Lehrgangsleiter Univ.-Prof. Dr. Helmut Kasper und ich einnahmen, bevor wir nach Wien beziehungsweise Graz zurückflogen. Es war ein wunderbarer Nachmittag, die Sonne gleiste auf die Marina in der die Boote schaukelten, im Fischlokal klang ein Hochzeitsessen aus, wir aßen und tranken wie es Männer nach getaner Arbeit machen. Wir hatten unsere Aufgabe in drei Tagen aus 20 Teilnehmer*innen eine lernende Organisation zu formen, erfüllt und waren’s zufrieden und bald beschwipst. 

Unsere Gruppenarbeit in der Sierra Tramuntana hatte drei Tage gedauert. Dabei gingen wir den Waldweg Erherzogs Ludwig-Salvator nach, schickten die Teilnehmer auf Erkundungstouren mit den Autos, gingen auf die Burg Aláro. Die Gruppen, die aus verschiedenen Lehrgängen des post-graduate Managementkurses stammten, sollten zusammenfinden, Kontakt zur ethnischen Diversität Mallorcas finden und eine tragfähige Zusammenarbeit zu finden. Gelang das, so übergaben wir die gefestigte Gruppe an Trainer, die mit ihnen segelten – ein zweiter Kursteil den UP Dr. W. Mayerhofer als ehemaliger Olympiateilnehmer mit seinem Team gestaltete.

Sie lehrten die Erstellung von exzellenten Teams und Teamworkmanagement mit Hilfe des Segelsports, der den meisten Teilnehmer*innen unbekannt war. Sowohl für uns als auch die Teilnehmer*innen waren es anstrengende, gefährlich Tage. Der unbedingte Siegeswille der Manager*innen, gepaart mit so gefährlichen Instrumenten wie Autos und Schiffen, die ausgesetzten Plätze in der Sierra, die Fincas und der Burg führten zusammen mit den Lehrzielen und den hohen Kosten, die die Teilnehmer*innen bezahlt hatten, zu Ausnahmesituationen. Ein grazer Manager war kurz vor dem Herbsttermin in Mallorca Marathon gelaufen und hatte einen Ermüdungsbruch des Schienbeins erlitten – trotzdem wollte er die Wanderung mitmachen. Eine Bankmanagerin litt unter Asthma bronchiale, rauchte – aber an der Wanderung wollte sie teilnehmen. Ein Produktionsleiter wollte plötzlich ein Jahrtausendwerk wie das opus magnum Ramom Llulls schreiben und verführte mich mit ihm morgens auf einen Hügel aufzusteigen – wir verirrten uns im Ginster. 

Bei der Rast auf Salvators Reitweg bekletterte ein vorarlberger Manager und Bergführer ungesichert ein baufälliges Köhlerhäuschen; bei einem Chefredakteur entdeckten wir erst beim Aufstieg auf die Burg Alaro, dass er Mokassins mit Ledersohle statt Wanderschuhen trug. Die Liste ist der Überraschungen erscheint endlos.

Das erste outdoor Training war in Spetses, bevor klar wurde, dass wir spanische und keine griechischen Schiffe brauchten. Wie liehen spontan Mopeds aus. Wir warnten vor den Gefahren des Fahrens, den schlechten Straßen und den unbefestigten Wegen. Die Manager*innen hörten unsere Warnungen nicht, weil sie die Mopeds schnappten und davonfuhren. Männer werden nicht erwachsen, sondern älter. Sie rasten davon, wir hinterher. Helmut und ich gaben es bald auf die Teilnehmer*innen zu finden. Er fand an einer kritischen Stelle der Auffahrt vom Strand den Leerlauf nicht und stürzte, brach sich den kleinen Finger. Mit den Mopeds zum Hotel, zum Strand, mit einer Barkasse auf eine Nebeninsel, ins Spital, einrenken und gipsen. Während des Einrenkens fragte der Orthopäde: „Hat er Herzprobleme?“ Ich verneinte. Es war zu spät, jetzt war die Belastung voll, ein Zurück gab‘s nicht.  2020 spielt er wieder klassische Gitarre, wie in seiner Jugend.

Ein andermal gingen wir auf die Burg Alaró. Einige wollten die ersten sein und kletterten die Felswand hoch. Sie hätten abstürzen können. Es war gegen die gestellte Aufgabe – die Gruppe sollte sich austauschen und die Gegend genießen. Sie aber wollten als erste oben sein!

Selbst eine Wanderung nach Alaró vom Hotel Hermitage aus, geriet zu einer dornigen Sache, weil wir alle geradewegs in die Büsche. Wir gingen los, ohne den Weg zu suchen, geschweige denn zu finden. Danach war ich zerstochen und zerkratzt, zwei Manager geleiteten mich wie einen Kranken hinauf. 

Einmal war ich dem Tode auf Mallorca sehr nah: wir gaben die Leihautos zurück. Die Wirtschaftsuniversität verlangte, dass die Autos getankt zurückgegeben werden. Die Firma Hertz verlangt pro Liter Sprit statt € 1,20, 1,70€ - das war zu viel. In Eile – die restliche Gruppe wartete bereits im Hotel – stellten wir die Autos am Gehsteig der Küstenstraße vor dem damaligen Stadtbüro ab. Die Mitarbeiterinnen sagte, dass die Autos abgeschleppt werden würden. Dann wäre pro Auto 200.- € zu bezahlen. Also nahm ich, erschöpft wie ich war, den Autoschlüssel vom Tresen und fuhr zum Parkplatz. Alle Autos, die ich beobachtete, fuhren auf der vierspurigen Straße in die linkste Spur und gegen die Einbahn in den Parkplatz. Das tat ich auch. Allerdings rammte ein Audi 80 meinen PT-Cruiser Cabrio. Der Audi bohrte sich mit seinem Stoßdämpfer in die linke Seitenwand meines Autos. Das amerikanische Auto war so bewehrt, dass ich völlig unverletzt ausstieg. Sofort kam die Polizei und der Vater des Rasers, der mit 80 km/h in mich reingeschossen war und es wurde festgestellt, dass ich schuld war. Ich brachte den Schlüssel ins Büro: „Da ist der Schlüssel, das Auto existiert nicht mehr.“ Die schönen Frauen in Hertz Uniform gingen essen.

Vieles passierte in Mallorca: Helmut zog sich am Parkplatz beim Flughafen vorm Auto um, er war verschwitzt und wollte ein frisches Hemd, nebenbei konnte er den Sitz nicht verstellen. Was soll ich sagen: mein Rucksack mit der Sammlung goldener Füllfedern wurde dabei gestohlen. Ein andermal habe ich mein Hotelzimmer unter Wasser gesetzt, weil ich einschlief während die Badewanne überlief. 

Zurück zu den Folgen des Essens nach getaner Arbeit. Zurückgekommen trat ich meinen Nachtdienst als Oberarzt der Univ.-Klinik für Kinder- und Jugendheilkunde Graz um 16 Uhr an. Um 20 Uhr besuchte mich Marguerite im Oberarztdienstzimmer. Wir lagen eng umschlungen auf dem 90 Zentimeter breiten Bett. Um vier Uhr früh musste ich auf Toilette. Diese war zirka 10 Meter entfernt. Wieder im Bett hatte ich noch viel stärkeren Drang. Dreimal. Beim vierten Mal konnte ich den Stuhl nicht mehr halten und verlor ihn mit Blut vermischt am Gang. Erschöpft schleppte ich mich ins Bett und bat die tief schlafende Frau Hilfe zu holen. Ärzte und Krankenschwestern kamen von der Säuglingsstation herbeigeeilt und versuchten einen Venenzugang herzustellen. Ich verlor dauernd das Bewusstsein. Marguerite rief meine Sekretärin Frau Gerti Pustak. Sie kam, öffnete das Fenster und schrie zu den im Hof stehenden Rettungsmännern: Mei Professor stirbt, kummt’s erm holen!“ Im Nebel meines Restbewusstseins erinnere ich starke Arme, die mich auf eine Bahre hoben. Wir fuhren in die Erstaufnahmestation des LKHs. Dort wurde ich mit Gertis Hilfe als extrem gefährdet eingestuft. Ich bekam drei Infusionen und mir wurden sehr schnell sechs Liter Flüssigkeit verabreicht. Das rette mein Leben. Tausend Dank.

Anschließend wurde ich an die gastroenterologische Station der 1. Med. Klinik verlegt. Dort angekommen, war ich wieder wach. Bei der 1. Visite sagte ich: „Lieber Herr Professor: ich habe eine bakterielle Enteritis (= durch Keime hervorgerufene Darmentzündung, nicht durch Viren).“ Der erfahrene Arzt erwiderte: „Das gibt’s in Graz nicht. Wir haben seit 1947 keine bakteriellen Darmentzündungen mehr hier.“ Mein Einwand, dass ich hunderte Kinder wegen allen Arten von Enteritis behandelt hatte und dass ich den Unterschied kenne, ließ er nicht gelten. Ich war jetzt Patient und nicht Kollege, mit dem man diskutieren kann/soll.

Als er den Raum verlassen hatte, sagte ich zu meinem Zimmergenossen: „Weswegen sind Sie hier?“ Er war wegen einer Durchuntersuchung bei Schilddrüsenüberfunktion ins Spital gekommen. Ich: „Sie rühren nichts mehr an, was ich berührt habe. Sie benützen nicht die gleiche Toilette, oder Dusche. Ich bin Gift für sie. Schauen Sie, dass sie möglichst bald nach Hause gehen können.“ Der Nachbar befolgte meine Ratschläge und verließ das Spital nächsten Tags. Ich hatte dauernd Durchfall, Blut und Krämpfe. Ein Pfleger brachte mir einen Heidelbeertrunk. Er meinte, dass mich das stopfen würde. Seither esse ich keine Heidelbeeren mehr – sie sind mit meiner damaligen Übelkeit verbunden. Am 3. Tag kam der Stationsführende in mein Zimmer. Die Krankenschwester trug einen blauen Kübel, aus dem ein weißes Etwas rausstand: „Sie müssen ab jetzt alles abwischen was sie berührt haben. Ihre Enteritis ist bakteriell, Shigellose, sehr ansteckend und gefährlich. In Mallorca sterben etwa 50 Personen jedes Jahr daran.“ Ich vermisse Mallorca sehr und möchte nie mehr hinfahren. Durch zu viel Tourismus ist es verdorben, es wird lange dauern bis sich die Insel und ich davon erholen.