Sonntag, 26. Jänner 2020 - Manta 

Sie wissen es schon: die Zeit läuft schnell vorbei. Sport, Frühstück, Plaudern mit Fini und Walter aus Graz, Packen für Galapagos, Mittagessen, Treffen im Theater,  Ausfahrt nach Monte Christi zu den Strohhüten, Erklärung und Demonstration der Steinnuss mit Souvenier – jetzt noch duschen, Abendessen. Morgen um 04:30 geht’s los.

Doch alles der Reihe nach:

Trainer Devin quält mich nicht mehr so sehr. Er empfiehlt halbherzig „Cardio“ und meint damit Ausdauertraining am Rad, oder Laufband. Das würde mein Gewicht senken. Wie viele Übergewichtige, die sich bewegen weiß ich, dass Bewegung nie zur Gewichtsreduktion führt. Ich kann ihm das aber nicht gleich sagen, einige Weisheiten muss ich mir für später aufsparen. Danach ins Schwimmbad, zum Frühstück dunkles Lachsbrot mit Weißkäse. Sogar Marguerite beim Frühstück dabei und die über uns Wolken haben sich verzogen. Walter und Fini kommen an unseren Tisch und wir plaudern. Über meine Pläne Schiffsarzt zu werden und über grazer Bekannte. So vergeht eine Stunde. Im Zimmer angekommen wird für Galapagos vorbereitet. Zuviel, ich bin sicher wir brauchen fast gar nichts. Aber gut, wenn sich alle an die Liste der Veranstalter halten, dann wird die Fähre voll. 

Sonntagmittagessen im Club Deliciosa, 10 Stock. Ruhig, gute Bedienung, am Vorspeisenbüffet Carpacio und knackiger Salat. Danach Pasta in Backpapier eingewickelt und ein kleiner Fisch mit dem lustigen Namen John Dolian. Ich lernte ihn erst gekocht kennen (lesen Sie mein Kapitel über die Fischliebe in der Bio), daher weiß ich nicht wie er aussieht. Der Kellner wusste nicht woher der Namen kommt. Zuletzt Sacher Torte – da kam Heimweh auf. Es hatte mit der gleichnamigen Torte keine Ähnlichkeit, außer dass sie dunkel war und Marillenmarmelade drin.

Ausflug: immer aufregend. Man soll sich um 14 Uhr treffen, Abfahrt war dann um 15 Uhr. Das ist hier so. Die Hafenbehörden brauchen ihre Zeit und überhaupt. Alles ist perfekt organisiert, der Ausflug in der Reise inbegriffen, alle 2.400 PAX nehmen teil.

Erich ist ein Fremdenführer aus Passail bei Bruck/Mur, der seit 1991 in Ecuador lebt. Er spricht von Ecuador als seine Heimat, hat einen guten Schmäh und einen australischen Hut auf. Er erzählt von Ecuador und ich schlafe wunderbar ein.

Monte Christo ist die Stadt, in der aus einer Palme Strohhüte gemacht werden. Ich wollte schon immer einen, den man zusammenrollen kann. Beim Nagy in der Wollzeile in Wien habe ich den Hut gesehen und mir nie geleistet. Hier kann man zusehen, wie er gemacht wird, unterschiedliche Qualitäten angreifen, den Erzeuger sprechen und aus vielen Exemplaren auswählen. Ich nehme den feinsten und freue ich sehr. Nur die Schachtel nehme ich nicht, denn die kann ich nicht mitnehmen – kein Platz. Ein beiges Lederband wird durch ein schwarzes Band ersetzt, ich bin dankbar und glücklich. Wir sind hier, es warm, der Hut passt und wir haben ihn bezahlt. Vor der Tür sitzt die Schwester der Besitzerin und gibt einem fünfmonatigen Kind zu trinken, im Geschäft schaut der ältere Bruder (oder Cousin) Iceage von Disney. Gegenüber spielen zirka 50 Frauen auf wackeligen Tischen Sonntagnachmittag Bingo. Die Zahlen werden über Lautsprecher ausgerufen, es wird an- und ausgestrichen. Kaffee wird keiner serviert, oder vielleicht erst nach Ende des Spiels. Um das Glück voll zu machen findet Marguerite noch einen absurden Hut mit dem sie sich wohl fühlt.

Der Rest der Führung ist erschütternd: Elend wohin man schaut. Menschen sitzen vor kleinsten, dunklen Zimmern zu sechst und acht auf kleinen Stiegen am Straßenrand. Sie bleiben draußen so lange es hell ist. Sonst wird alles was Wert hat von schwerbewaffneten Polizisten mit schusssicheren Westen bewacht. Alle Restaurants sind geschlossen, angeblich, weil es Sonntag ist. Am Strand Schmutz und am beliebten Stadtstrand Wüste. Vor vier Jahren gab’s hier ein Erdbeben, 700 Menschen fanden den Tod, weil die schlecht gebauten Häuser einstürzten. Manche stehen noch, sind windschief und unbewohnt. Sie fallen nicht auf, die Straßen sind leer, einzelne Menschen gehen nach Hause, oder sonst wo hin. Meist sind sie dunkelhäutig, Männer und Frauen, sogar Familien fahren auf Mopeds und manch ein zerbeultes Auto kreuzt die Strecke unseres Buses, vollgeladen mit einer Familie.

In unserem Bus alte Menschen. Eine Dame aus der Schönbrunnerstraße in Wien rät mir den teuren Hut zu nehmen. Sie hat ihren Hut seit 15 Jahren und er geht auf jede Reise mit. Am Handgelenk hat sie eine kleine Kamera, am Schoss einen weißen Lederrucksack. Sie hat ein rot-weißes Blumenkleid aus Fidschi an. Leider hat sie ein schweres Zitterleiden, das vor allem ihren Kopf betrifft, steht sie auf, sehe ich, dass das Alter ihren Bauch vorgewölbt hat. Sie war schon überall, kennt alles und wohnt in Meidling, wenn sie nicht auf Reisen ist. 

Was für eine Differenz: Draußen junge Menschen ohne Zukunft und im staubigen Schmutz, drinnen im klimatisierten Bus alte Weiße ohne Zukunft. Dieses Missverhältnis ist nicht haltbar, alle Versprechungen in Europa, dass es so weitergehen wird wie bisher, alle Annahmen, dass Europa sich die Alten wird leisten können und wollen, müssen daran scheitern, dass hier Menschen leben, die keine Chancen haben. Komisches Gefühl Teil des Übels zu sein und einer beginnenden Vergangenheit, so wie es zwar jede Gegenwart ist, aber in diesem Fall eines Lebenskonstrukts dessen Ende absehbar ist. Es ist wieder eine Welt von Gestern, eine Welt, die so nicht weitermachen kann – nicht wegen des Klimas, sondern wegen der Ungleichheit. Wie sollen Menschen Verantwortung für die Zukunft der Menschheit empfinden, die selbst keine haben? Was verlangt man, wenn man als Schweizer, Österreicher, oder Deutscher glaubt einen Beitrag für die Zukunft zu leisten indem man den Müll trennt? 0,42% des Gesamtmülls – so sagt Annelies jeden Abend – wird von Deutschland produziert. Fiele der weg, würde sich nichts ändern. Wenn wir was machen wollen, müssen wir die Unterschiede angehen, aber das hat schon A. Camus und Y. Illich in den sechziger Jahren des vorigen Jahrhunderts gefordert und der Kommunismus, dem sie anhingen, war keine Lösung. So bleibt nur das Gefühl zurück: wir im Glück und die im Elend.
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