Montag, 17.Februar 2020 - Papeete, Tahiti

Wer hat nicht schon Paul Gauguins fleischig, bunten Frauen und Kinder auf einem Bild des französischen Impressionisten gesehen? Diese Bilder erzeugen Sehnsucht nach der französischen Inselwelt im Pazifik. Poster, Plakate, Postkarten und Beschreibungen folgten. Die Geschichten über die Härten seines Künstlerlebens wurden erst viel später erzählt und weniger beachtet. Wir sind heute zum zweiten Mal in Papeete, wir könnten mit Peter R. schimpfen, der sagte: „Papeete ist eine Großstadt geworden, das ist keine Südseeinsel mehr!“ und danach einen singenden Seufzer hören lässt.

Gleich in der Früh geht’s hinaus. Eine Katamaranfahrt in die Lagune mit Schnorcheln ist am Programm. Der Katamaran füllt sich mit 24 Personen, Platz für Jede*n, Früchte und Getränke werden angeboten. Die Besatzung besteht aus einem kleinen zarten Kapitän, seinem Helfer und einer dunkelhäutig-schönen Melanesierin in einem schwarzen Schlauchkeid, die die Honneurs macht. Leinen los, wir fahren innerhalb der Lagune – die schönste Küste Tahitis – die Westküste wird gezeigt wir bewundern die Villen der Reichen. Vom Vulkan ergießt sich ein Wasserfall und hat an dieser Stelle keine Korallen entstehen lassen. Daher ist dort die Lücke im Riff, sodass wir ins offene Meer fahren können. Allerdings legen wir danach in der Lagune an. Viele Segelboote liegen auf Anker, Marinas gibt es und Touristen schnorcheln. Daher sehen wir zerstörte Korallen dazwischen und darin kleine, blitzblaue Fischchen, große, gelb-smaragdgrüne Fische und hunderte andere Arten. Ich liebe den gelben Schmetterlingsfisch mit langem schwarzem Rüssel, der sich kurz aus einem Korallenstock zeigte, während er mit dem Rüssel in eine Spalte fuhr. Ich kraule in Richtung Riff. Anfangs sehe ich Marguerite noch, sie hatte Ihren Blumenhut auf über den sie ihre Schwimmbrille gab. Wasser floss ihr auf der Seite in die Augen. Sie bat mich ihr zu helfen. Also stülpte ich schwimmend das Hütchen nach hinten und nahm die Brille ab. Ich war angeblich zu heftig, sie schimpfte. Ich schwamm. Sie verlor mich aus den Augen, auch dem Kapitän war ich zu weit vom Boot entfernt, also holte er mich mit seinem Zodiak ein und bedeutete mir zurückzuschwimmen. Das machte ich auch. Fische, Korallen haben wir viele gesehen, das Riff habe ich nicht erreicht. Am Rückweg begegnete ich M.: „Wir müssen das ändern!“ sagte sie nachdem sie den Schnorchel ausgespuckt hatte. „Du hast Riffsucht!“ Nicht ihr Gefühl der Verantwortung stand zur Diskussion, sondern meine „Sucht“. Sie wollte Giacomo aus Rom als Zeugen anrufen, dass sie sich zu Recht gesorgt hatte. Er war als Zeuge nicht brauchbar: Er hat auch Riffsucht. Sabrina und er saßen schweigend neben mir. Wir fanden, dass sie unglücklich aussahen und hochmütig. Ich wollte das durchbrechen, sprach sie an und Giacomo freute sich, dass ich ein paar Brocken Italienisch. Seine Frau lächelte, als Giacomo beim Aufstehen seine Blume, die wir alle beim Empfang auf Tahiti bekommen aus seinem Haar verlor, am Boot draufstieg und ich sie ihr wie ein Geschenk reichte. Ich will nicht, dass ich auf meinen Vorurteilen sitzen bleibe, ich spreche jede*n an, egal in welcher Sprache und habe daher sehr wenig Reibung mit den Mitreisenden. Alle sind alt gewordene Besserwisser, die es so wie ich schwer haben, wenn ihnen jemand im Weg steht. In einem Artikel, den Judith in Facebook kommentiert hat, wird über Alte philosophiert: es gibt so wenig Rollenbilder für Alte. Man muss fit sein und forever young. Das bemühen sich meine Mitreisenden sehr und eigentlich sind wir alle ständig durch uns selbst überfordert. Wir tanzen wie die Jungen, gehen ins Fitnessstudio, wollen eigenständige Reisen zusätzlich planen, einkaufen, dabei klug sein und sich nicht betrügen lassen – und dann steht jemand im Weg, oder ist einfach da. Da reagieren manche mit Aggression, Giacomo mit Seidentuch und blasiertem Schauen.

Der Nachmittag in Papeete verlief schön: wir aßen im Star Kino Imbiss. Das ist ein französisches Bistro mit Südseespeisen. Wir teilten einen Avocadosalat, der genug gewesen wäre, M. hatte dann noch ein Fischcevice und ich ein richtiges Steak, rare. Danach bekam ich noch einen Karamellpudding. Das Restaurant liegt in einem zugigen Durchgang, mitten im Einkaufszentrum, etwas versteckt. Es weht dauernd ein kleines Lüftchen durch und Menschen mit verschiedenen Hautfarben verkehren dort: Polynesier mit den äußeren Kennzeichen der Südseemenschen, Mikro- und Melanesier alle spezifisch aussehend und daneben und dazwischen Mischlinge aller Arten.  Manche bleiben zum Essen, manche nehmen nur ein Bier. Angeregte Gespräche mit Alfred und Jaqueline, die dann aufbrechen, um für ihre Tochter eine schwarze Perle zu kaufen. Ein Mitreisender nimmt neben uns Platz. Er spricht kein Französisch. Er will wissen wieviel hier ein Bier kostet und bekommt die Auskunft 6 US$. Allerdings entscheidet er sich dann – unter meinem Einfluss – für ein großes Bier und das kostet 9 US$. Er ist entsetzt und vergleicht die hiesigen Bierpreise mit Deutschland.

Wir schlendern herum, kaufen Badeanzüge, Zahnpasta und sogar zwei kurze Hosen, die hübsche Funktionskleidung sind. Eine französische Boulangerie, die mit Kunstrosen geschmückt ist, lädt ein. Wir wollen nicht widerstehen. Die Idee, dass Essen eine Sünde ist, so als ob die Völlerei noch immer eine Todsünde wäre, wollen wir nicht mitmachen. Sündig ist vielleicht Herzlosigkeit, mangelnde Hilfsbereitschaft, oder Geiz – aber Essen und Trinken ist keine Sünde. Ich weiß, alle die uns kennen werden jetzt sagen: man sieht’s. Das stimmt – man sieht’s.

Am Schiff ins Schwimmbad. Für die Costa ist es nicht leicht: die Angst vor dem Coronavirus, die ein Schiff, das auch Carneval gehört vor Japan in Quarantäne gebracht hat ist an Bord groß. So will man nicht reisen müssen. Die PAX der Diamond Princess haben Videos gepostet, in denen das Elend des Eingesperrtseins sehen kann, gingen um die. Welt. Unsere Reise ist offensichtlich eine Reise der Veränderungen und stellt Pensionisten mit festen Plänen auf eine harte Probe. Erika zum Beispiel hat vor einem halben Jahr fünf Tage Rarotonga gebucht, aber Rarotonga musste wegen des Wetters abgesagt werden. Der Verlust ist sogar noch größer, da das Ehepaar einen Flug Rarotonga – Auckland gebucht hatte. Erika nimmt das als ehemalige Stewardess gelassen, aber Hugo ist nach zwei Herzoperationen ängstlich und ändert Pläne schwer. So geht’s auch Annemarie, die mit Peter fünf Tage auf Rarotonga gebucht hat. Sie ist beim Abendessen ganz schlechter Laune, sitzt neben mir und beschimpft Peter, der trotz schlechtem Internetanschluss während des Essens neue Reisepläne umzusetzen versucht.

Was soll’s: dies ist eine Seereise mit Überraschungen. Wir Alten, die fortwährend so tun, als ob sie jung geblieben wären, sind in ihrer Flexibilität gefordert. Mal sehen, ob wir so flexibel sind.

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