Samstag, 15. Februar 2020 - Valentin ist vorbei

Der Tag nach Valentin: kommt jetzt noch eine Liebesgeschichte, oder doch die Erzählung wie sich die Mitreisenden ab vier Uhr früh anstellen, um Ausgangskarten für die Inseln Bora-Bora und Rarotonga zu bekommen? Der Traum Bora-Bora zu erreichen wurde gestern im Schwimmbad diskutiert. Unsere Eltern hatten ihn, Alfreds Vater hatte ein Poster auf dem Bora-Bora abgebildet war. Wir kommen in den nächsten Tagen hin, Highlight folgt auf Highlight.

Im Planschbecken auf Deck neun, in dem wir in der Spätnachmittagssonne stehen, äußert Alfred den Satz der Pensionisten mit wenig strukturiertem Tag: „Man kommt zu nichts, der Tag geht so schnell vorbei!“ Dass das stimmt weiß ich auch. Denn in der Früh – wir stellen die Uhren praktisch jeden Tag eine Stunde zurück (und da sage noch Jemand, dass es schwer ist sich von Sommer- auf Winterzeit umzustellen) und heute hatte Marguerite die Richtung vertauscht. So forderte sich mich um 05:30 auf aufzustehen, weil ich um acht Uhr mein Rendezvous mit Devin, dem Personal Trainer hatte. Nun gut. Eine Stunde konnte ich noch rausschlagen, aber ich war um ½ 6 auf Deck 11, Sonnenaufgang. Jetzt ist es Abend geworden, ich sitze im Sonnenuntergang, leider sind wie jeden Tag am Horizont Wolken, die das Eintauchen der Sonne ins Meer verbergen.

Der Morgen war trotzdem schön. Nach ½ Stunde rundherumgehen auf Deck 11 mit vielen Stufen gönnte ich mir eine Pause und trank Zitronenwasser in der noch tiefstehenden Sonne. Diese ist in diesen Breiten sehr stark, so sehr mich der Aufgang freut, sobald sie am Himmel erscheint kann man nicht mehr hinsehen und spürt die Strahlen auf der Haut. Dann ging ich in das Gym und machte Handradeln. Wieder M. suchend, kam es zu einem weiteren heißen Zitronenwasser. Ich betrachtete die Donuts mit pink icing, die mit Erdbeermarmelade gefüllt sind, sehnsüchtig. Als ich mich abwendete, kam Walter aus Graz vorbei, der oft über seine Gewichtszunahme an Bord klagt. Er hatte für sich und Fini 8 -12 Stück süßen Gebäcks am Teller. Da schlug ich zu. Der Donut war frisch, weich, süß, fast klebrig, noch warm. 

Das Training war hart. Gewichte stemmen, Oberkörper- und Oberarmmuskeln, zum Abschluss planking. Viel Lob dafür, dass ich nie vorzeitig abgebrochen habe. Dann zweites Frühstück mit M. im Zimmer: Schwarzbrot mit Creamcheese und Lachs. Dazu zwei Kannen Assam first flush Tee. Das bringt mich sofort, da es auch das Valentinstagsfrühstück für M und mich war, zurück zu den Liebesgeschichten:

Das Genie Sartre erfindet folgende Geschichte: Ein Mann bereitet eine sozialistische Revolution in einem südamerikanischen Land vor. Eine Frau ist Gattin des Diktators. Der Diktator beginnt ein Verhältnis mit seiner Schwägerin. Überdies lässt er die gewerkschaftliche Bewegung überwachen, um bei einem Aufstand gegen seine Macht die Bewegung nachhaltig zerschlagen zu können.

Am selben Tag sterben Mann und Frau. Er wird von einem Undercoveragenten des Herrschenden erschossen; sie bedroht ihre Schwester mit einer Browning und wird selbst zum Opfer. An der Anmeldestelle im Himmel treffen sich die Beiden. Sie wurden aus verschiedenen Ursachen getöteten, lebten in verschiedenen Gesellschaftsschichten und kannten einander nicht. „Halt“, sagt die Dame an der Himmelsrezeption: „sie sind falsch hier. Sie haben einander auf Erden nicht getroffen, obwohl sie füreinander bestimmt waren. Ihr Fall muss geprüft werden.“ Die beiden gehen in den Himmel. Da treffen sie ihre Vorfahren und können beobachten wie es auf Erden zugeht. Der Diktator lebt mit der Schwägerin, die Gewerkschaftsbewegung wird beim gescheiterten Aufstand zerschlagen. Im Himmel wird entschieden: Mann und Frau bekommen eine Chance von 24 Stunden. Kommen sie zusammen, bekämen sie ein neues Leben.

Jetzt entscheidet es sich: der Kommunist Sartre will beweisen, dass die Macht der Verhältnisse stärker ist, als die Liebe. Doch er wäre kein Genie würde ihm nicht noch was ganz Anderes gelingen. Denn er zeigt: die Toten sind unter uns, sie sind neben uns. Des Mannes Urgroßvater in der Kleidung eines französischen Adeligen des Ancien régimes kommentiert sowohl die Amoure des Herrschers als auch die Blödheit seines Urenkels. Die Madame, die aus vorrevolutionären Verhältnissen Frankreichs stammt, findet die Forderung nach Monogamie bei einem Herrscher unverständlich.

Es kommt wie es kommen muss. Trotz besseren Wissens kann der Mann seine Genossen nicht im Stich lassen und wird wieder erschossen. Die Frau geht in den Palast, um reinen Tisch zu machen und wird erschossen. Obwohl sie wissen wie es ausgeht; obwohl sie wissen, dass sie nur eine Chance haben und die Freude eines ersten Kusses  empfinden – alles hilft nichts: das Schicksal, oder eben die Macht der Verhältnisse, sind stärker als die Liebe. Im Himmel werden sie von den Vorfahren liebevoll empfangen. Sie tanzen beim himmlischen Nachmittagstee: sie spüren ihren Kuss nicht, sie atmen, trinken und essen nicht. Sie hatten ihre Chance. Doch sie konnten sie nicht nutzen. Die Verhältnissen waren stärker als die Liebe. Das ist gemäß der kommunistischen Weltsicht: das Sein bestimmt das Bewusstsein. Für mich ist die Liebe das Stärkste. Überdies: unsere Vorfahren sind unter uns.

Wie einfach ist nun der Übergang zu Polynesien: diese Kulturen haben den Schutz der Vorfahren in Anspruch genommen. Sie vermuteten ihre Vorfahren unter sich, sie nahmen ihren Schutz in Anspruch und waren sich sicher, dass die diesen Schutz gewähren.

Wir erreichen morgen Tahiti, dann einen Tag später Bora-Bora und nach einem Seetag Rarotonga. Inseln aus Träumen, umgeben von Korallenriffen, in denen die schönsten Fische schwimmen, Paradiese auf Erden. Niemand soll sagen, dass sie überbevölkert sind. Jeder will dort sein, jeder am Paradies teilhaben. Daher: Respekt vor den anderen. 
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