Lachen

Es gibt eine Zeit der Trauer, der Besinnung und eine des Lachens. Kinder lachen angeblich zehn Mal so viel wie Erwachsene. Deshalb ist jede Begegnung mit Kindern ein Vergnügen. Manche ziehen ihre eigenen Kinder und Kindeskinder vor, manchen genügt jedes Kind. In jedem Fall ist Lachen nicht nur, wie man sagt, gesund, sondern es macht das Leben schöner und verhindert die ½ 5 Uhr Stellung der Mundwinkel.

Mein Leben hat sich nie von Kindern entfernt. Genau erinnere ich, dass ich als Zehnjähriger nie erwachsen werden wollte. Das ist mir weitgehend gelungen. Ich bin unentschlossen, manchmal launisch, plane nicht gern, hingegen überrascht mich manches so wie das Datum des heutigen Tages – als Pensionist warte ich ab 20. auf die Rente – heute noch mehr auf meine Liebste, die in 13 Tagen zu mir kommt. Das charakteristische Kindergeschrei an Pools stört mich nie, gern schreie ich selbst, wenn ich aus einem kalten See auftauche. Schreiende Kinder sind für einen Kinderarzt erfreulich, nur schwer kranke Kinder werden ruhig, zu ruhig.

Mir erschienen Erwachsene, so richtig Erwachsene immer blöd. Zuerst einmal sind sie dick und unbeweglich. Dann ordnen sie Regeln an, erziehen ununterbrochen, haben keinen Spaß an Dummheit und Unvorhersehbarkeit. Sie denken immer an das Schlimmste, wollen dass man sich anzieht wenn’s kalt ist, die Haare fönt damit man sich nicht verkühlt und gehen schon wieder essen. Sie geben Regeln und Regeln aus – ersticken Freude und Blödsinn und werden damit zu den Blödesten.

Während ich das schreibe schwimmt eine Frau mit zwei Knaben im Außenpool des Hotels direkt unter mir. Die Kinder schreien, hupfen, stoßen einander, machen unbeholfene Schwimmversuche. Die erwachsene Frau ruft Regeln: „Nicht hüpfen“, „Nicht schreien“ „Schwimm nicht unter die Stiege!“, „Komm da raus“, „Pass auf!“ Die Kinder lachen, prusten, springen sich auf den Kopf, klettern am Schwimmbadrand ins Freie, wo es zirka 12 Grad Celsius hat. Das einzig Störende ist das unnötige Geschrei der Frau. Dann beginnt sie auch zu lachen – der Spaß beginnt. Nun beginnen die Kinder Regeln auszugeben: „Du darfst da nicht rein.“ „Du darfst nicht spritzen.“ Die werden auch einmal erwachsen, sie haben’s gelernt.

Erwachsene fühlen sich verantwortlich. Das sind sie auch. Sie erstrecken ihre Verantwortlichkeit weit über das hinaus, was nötig wäre, beachten aber ihre Verantwortung für die Welt kaum. Stattdessen terrorisieren sie ihre Umgebung – mir scheint Erwachsene brauchen Alkohol um fröhlich zu sein.

Am komischsten erscheinen mir Großeltern so wie ich. Meine älteste Enkelin Mia wird bald 14 Jahre alt. Großeltern sind oft noch ängstlicher, kontrollieren mehr, sind unbeweglicher und starrer. Ihre Lebensereignisse führten zur Ängstlichkeit. Sie glauben absehen zu können und lachen selten. Manche finden ihre Enkelkinder das Wichtigste auf der Welt und spüren Verantwortung für die Kinder auch ihren Kindern, deren Eltern gegenüber. Sie müssen die Kinder gesund zurückgeben. Sie haben von den Eltern der Enkel abweichende Erziehungsvorstellungen. Sie wollen die Enkel verwöhnen, wie sie es bei ihren Kindern nicht machten und geraten in Auseinandersetzungen mit ihren eigenen Kindern. Bei Scheidungen und anderen Lebensveränderungen der Kinder stellen sie sich scheinbar auf die Seite der Kleinen und versuchen ihnen eine Stimme zu geben. Ich finde die Großeltern am Schlimmsten die wenig Zeit für ihre Kinder hatten aber mit den Enkeln Elternschaft erleben wollen. Die Enkel werden zu etwas Besonderem stilisiert – in ihnen sehen sie Erfüllung und Zweck für sich. Sie sollen über die Nutzlosigkeit des Alters hinweghelfen. Die Großeltern stellen Bindung her und erobern eine Aufgabe bis dorthin, dass sie sich als die besseren Eltern fühlen.

Es geht um‘s Lachen der Kinder, das man hören will. Um‘s Lachen, das hell und klar in den Morgen tönt, um‘s Lachen, das abends erklingt, bevor es in die Weigerung Schlafenzugehen mündet. Es geht um den Verlust an Fröhlichkeit im Laufe des Lebens um den es schade ist.

Wenn Jesus sagt: „Werdet wie die Kinder!“ Dann meint er vielleicht, dass man die Welt staunend ansehen soll, einem alles immer neu sein soll und man in Ehrfurcht vor der Welt und ihrer Schönheiten durchs Leben gehen soll. Das hülfe, machten wir es.

Einstein soll die Frage, wie ihm seine Annahmen der theoretischen Physik einfielen, gesagt haben: „Die meisten Menschen sind mit den Fragen nach Zeit und Raum mit 15 Jahren fertig. Ich war ein Spätentwickler, daher habe ich mir diese Fragen erst mit 20 Jahren gestellt und da bekommt man eben andere Antworten.“ Das Staunen wird meist im höheren Alter selten. Da aber nur alle paar hundert Jahre ein Mensch nicht nur staunt, sondern daraus auch die erquicklichsten Erkenntnisse zieht, reicht es für mich, wenn ich staune und lache über all das, was ich nicht verstehen kann.

Es tarnt sich als Witz und ist es vielleicht auch: „Itzig fragt den Schmuel: „Gehen die Gedanken von innen nach außen, oder umgekehrt?“ Da antwortet Schmuel: „Lass mich nachdenken, ich sag Dir‘s in einer Woche.“ Nach einer Woche fragt Itzig: „Nu?!“ Da sagt Schmuel: „Beides ist richtig.““ So hat Schmuel zum Beispiel das Umwelt– Genetikproblem gelöst: ist etwas angeboren, oder eine Reaktion auf die Umwelt? Beides ist richtig. So mag es oft sein: Da wir das Meiste nicht verstehen ist kindliches Staunen das Beste was wir machen können. 

Meine Enkelin Alma, dreijährig, hat heute im Appelhof in Mürzsteg in ihrem Hochstuhl beim Frühstück sitzend, ein weiches Ei mit der Gabel gegessen. Sie klopfte es mit der Gabel auf und holte mit ihrer kleinen Hand das Dotter unverletzt raus. Legte es in den Eierbecher, salzt. Die Eihaut zerreißt Alma mit der Gabelzinke, danach hatte sie das Dotter auf ihren Fingern, nimmt ihre Serviette zerknüllt sie indem sie sich abwischt – und ihre Hände bleiben verschmiert. Ich öffne meine Serviette und zeige ihr wie man sie benutzt. Dann aß sie ein bisschen Ei, schmierte sich den Rest in den Pullover und lachte mich charmant an. Ich lachte zurück. Statt Erziehung war Heiterkeit zwischen uns: ich hätte Füttern, Löffel bringen und zeigen wie’s geht machen können, vielleicht verhindern, dass sie sich beschmiert, ich hätte eine Semmel dazu anbieten können, das weiche Ei in die Semmel geben und es so zur Gänze essbar machen können. Alles Unsinn. Lustig war’s billigend und lernend zuzuschauen, wie die kleine Alma nach Selbstständigkeit ringend, mit breitem  „Vorkriegsmund“ und der Stimme Zarah Leanders, lernt ein weiches Ei zu essen. Mag sein, dass das nur möglich war, weil das Büfett ohne Einschränkungen zur Verfügung stand, mag sein Sie finden mein Verhalten falsch. Ich habe es genossen und als Almas Vater dazu kam und sie abwischte verflog ihr Lachen. Schade.