Gefahr

Wenig habe ich über die Gefahren eines psychosomatisch tätigen Arztes, Ärztin geschrieben. Schon am Beginn meiner Tätigkeit 1975 gab’s die und sie setzten sich mit kleinen Erlebnissen fort. Es waren nicht nur die Anfeindungen der Kolleg*innen, sondern die Belastungen der Patient*innen und deren Kinder, die sich bisweilen gegen ihre Behandler richteten. Von Stalking bis zu offener Aggression, von Beschwerden bis Schreiduellen – alles ereignet sich in einem Arztleben.

Es sind so viele Erlebnisse, die mir dazu in den Sinn kommen.

Da war in den 1990er Jahren einmal ein netter junger Mann, der mit seiner Freundin von seinem Vater an die Klinik gebracht wurde. Zu Hause ist es zu einem handfesten Streit gekommen, erzählte der Vater. Da ich den sechzehnjährigen Jungen kannte, er schon bei mir auf Station war und ich Oberarztdienst hatte, lud ich ihn mit seiner Freundin in das Ambulanzbesprechungszimmer der Psychosomatik im 4. Obergeschoß der Klinik ein. Wir redeten, alles war ruhig. Marguerite besuchte mich, wir redeten zu viert – dann ließen wir die Jungen allein. Alles ruhig. Plötzlich Geschrei aus dem Zimmer. Wir stürzten hinein – der noch vor Kurzem so friedliche Junge schlug seine Freundin, die weinte. Marguerite ging ohne nachzudenken dazwischen, bekam Schläge ab, ich rief den Sicherheitsdienst, wie in einer Emergency Serie. Allerdings kam niemand. Der Knabe lief schreiend auf den Gang, schlug um sich, zerschlug die Glastür der Toilette, Marguerite schützte mit ihrem Leib die Freundin, die heulend am Boden saß. Der Mann vom Sicherheitsdienst erwies sich als unnütz: er habe weder Ausbildung noch Berechtigung einzugreifen – er telefonierte mit der Polizei. Der Patient warf Glassplitter der Scheibe auf Marguerite, ich schäme mich heute so wie damals, ich griff ihn nicht an, habe meine Frau nicht geschützt. Der junge Mann riss die Zarge der Brandschutztür raus, verletzte sich mit den Glassplittern schwer, die Polizei führte ihn ab. 

Daraus kann man nichts lernen, das passiert – es war eine Mischung aus zu viel Freundlichkeit und Vertrauen in die Patient*innen oder Fehleinschätzung.

Schon 1975 am Anfang meiner Tätigkeit im Karolinen Spital der Stadt Wien bot ich einer Mutter eines Babys an, mich anzurufen, wenn sie nicht weiter wüsste. Tatsächlich machte sie das. In einem Ausmaß mit dem ich nicht gerechnet hatte. Sie brachte mir Brötchen, wenn sie wusste, dass ich Dienst hatte; sie rief an; wartete auf mich nach Dienstschluss – zuletzt lud sie mich zu sich nach Hause ein. Das Kind war inzwischen 1 ½ Jahre alt, alles war für meinen Einzug vorbereitet. Ich war allerdings bereits Vater einer Tochter und keineswegs daran interessiert mit dieser Frau und deren Kind eine Lebensgemeinschaft einzugehen. Die Kolleg*innen waren höhnisch und verletzend, der Primar unterstellte mir eine Liebesbeziehung mit der Frau (indem er von sich auf andere schloss), einzig unser Portier redete mir gut zu und half mir die Brötchen und Blumen zurückzuschicken, verleugnete und warnte mich, wenn sich die schwarz gekleidete Dame dem Spital näherte. Alles half nichts. Die Frau schickte Selbstmorddrohungen an mich, informierte meinen Chef und brachte mich in Verzweiflung. Mir blieben die Schuldgefühle und ich wüsste bis heute nicht wie ich das hätte besser lösen können.

Im Kinderschutz war es natürlich noch heftiger: nach der Einführung der von Michael Höllwarth und mir initiierten Gesetzesnovelle, die den Kinder- und Jugendärzt*innen das Recht gab von einer Anzeige abzusehen, kamen wir vermehrt mit Eltern in Kontakt, die ihre Kinder misshandelt oder missbraucht hatten. Da galt es Ruhe zu bewahren und zu verstehen. Ich kam einmal in die Ambulanz der Psychosomatik, es muss so 1990 gewesen sein und ´ich bin mir sicher, dass ich das schon mal erzählt habe. Vor mir saß ein Mann in kurzer Hose mit eingenähtem Futter. Die Beine angewinkelt überschlagen und als ich von der Tür schaute, sah ich sein Gemächt. Neben ihm zwei Frauen, Marguerite und unsere Sozialarbeiterin Frau Meeraus die auf ihn einredeten. Ich sagte zu dem Mann: „Gehen Sie nach Hause, waschen Sie sich, ziehen Sie sich was Anständiges an und dann kommen Sie wieder!“ Ich war ungerecht. Er kam in einer Arbeitspause als Fahrer eines LKWs, wer weiß wo er sein Fahrzeug hingestellt hatte? Wir waren aber in der komischen Lage, dass wir die Kooperation der Eltern brauchten. Stellten wie diesen Kontakt nicht her, dann mussten wir Anzeige erstatten und zum Schluss war bestenfalls der Ruf der Familie ruiniert, geholfen war meist niemandem.

Meine Pflegetochter Doris – selbst misshandeltes Kind – wäre da viel radikaler. Sie verlangt die Todesstrafe für Menschen die Kinder misshandeln oder missbrauchen. So wie sie auch ihren muslimischen Hintergrund ablehnt und unterstellt, dass die westlichen Demokratien die Grundeinstellung des Islam falsch einschätzen: nach dem Wort des Propheten, so meint sie, ist nicht nur die Mission die Aufgabe des Islam, sondern die Übernahme der Weltherrschaft. Wir würden uns nur selbst betrügen, wenn wie annähmen, dass man muslimische Menschen integrieren könnte. Da ein Integrationswille nicht vorliegt, ist Integration unmöglich. Der Islam will beherrschen und nicht mitleben. Glaubt man ihr – und sie ist in diesem Umkreis aufgewachsen – dann machen wir Europäer es falsch. Wir müssen, wie im Mittelalter, wehrhaft sein, unser Leben verteidigen und keine sogenannten Flüchtlinge, die Doris als Vorhut der Eroberer ansieht, in die Europäische Union lassen. Punkt.

Mag sein, dass wir eine untergehende Kultur sind. Mag sein, dass wir wehrhafter sein sollten. Mag sein, dass ich Recht hatte, als ich um fünf Uhr früh in die Ambulanz gerufen wurde, weil eine Mama sich über den diensthabenden Assistenten beschwerte. Inhalt der Beschwerde: Montag ½ 7 Uhr früh war es, dass der Kollege, der wie ich seit Samstag früh im Dienst war, ihr müde erschien. Was stimmte. Ich sagte ihr, dass sie absolut Recht habe. Um 08:30 kämen die ausgeruhten Kolleg*innen, sie solle bitte draußen Platz nehmen und warten, sie wäre die Erste, die dann drankommen würde. Sie wurde zornig. Ich sah das Kind, es fieberte, war aber sonst unauffällig und konnte sich frei bewegen. „Das Kind ist nicht spitalspflichtig – sie sind hier ganz falsch!“ sagte ich. „Ich weiß nicht warum sie um diese Zeit hierherkamen, vielleicht passt es besser in ihren Tagesplan, wenn sie vor acht Uhr wissen, ob ihr Kind heute in die Schule gehen kann oder sie wollen sich nicht in das überfüllte Wartezimmer eines niedergelassenen Kollegen setzen. Wie auch immer – hier sind sie falsch.“ Die Beschwerde war unausweichlich, trotzdem zauberte diese nur ein Lächeln auf die Lippen meines Chefs. Er sagte zwar: „Da wir die Patienten nicht wegzaubern können, ist es besser wenn wie freundlich sind, a b e r, wenn sie so unausstehlich sind, dann müssen wir uns auch wehren.“ Damit war’s erledigt, er entschuldigte sich brieflich für mich und bat gleichzeitig die Notfallambulanz nur in dringenden Fällen aufzusuchen. Wer lesen konnte, konnte verstehen.