Meine liebe große Schwester Daphne

Ich wurde in ihrem dritten Lebensjahr geboren. Angeblich hat sie gesagt: "Mit dem kann man doch gar nicht spielen!", als sie mich das erste Mal im Assutah Spital in Tel Aviv, Israel sah. Wir lebten damals Israel: Vater war aus dem Militär heil heimgekommen. Im israelischen Heer war er nicht mehr Kraftfahrer, sondern Koch. Wegen der Kinder hatte er in Zeiten der Not aus den Militärbeständen zwei Hühner mitgenommen. 

Von einem Kameraden verraten, wurde er unehrenhaft aus der Armee entlassen. Meine Mama ging selbst zu seinem Kommandanten, dem späteren 1. Präsidenten Israels Chaim Weizmann, um das "unehrenhaft" löschen zu lassen. So konnte Papa bei der Driom Jehuda beginnen. Daphne war mir eine schwierige Schwester. Sie tat sich schwer mit ihrem Bruder.

Daphne und ich am Balkon 1951 Daphne und ich am Balkon 1951 - Liebevoll und verzweifelt über den Bruder - so blieb es

Sie selbst war ein lustiges Persönchen, geliebt und selbstbewusst. Eine echte Sabre halt. Wie sie da steht, bei einem Strandtag – lustig und mit der Welt im Reinen. Sie war in Israel die Königin Esther aus der PurimgeschichteIch weiß nicht, ob die Übersiedlung meiner Familie nach Wien, in die Kälte und umgeben von den ehemaligen Mördern, die Stimmung, die alle Verwandten hatten, oder die Scheidung der Eltern zwischen 1956 – 1960 sie zerstörten. 

Anfangs ging’s noch gut, zum Beispiel in de Volksschule. Verehrer wie die beiden in der ersten Reihe hatte sie immer und auch Freundinnen. Ihr offenes Wesen und ihr Lachen erinnere ich erst jetzt, wo ich über sie schreibe. Man schaue nur die anderen Kinder an, die unterschiedlich scheu sind, oder verzweifelt am Foto dreinschauen. 

Über Wien und seinen Einfluss auf uns alle und auf sie besonders, das nächste Mal. Wie fast alle meine Verwandten, die mich als Kind gekannt haben ist auch meine Schwester tot. Sie starb 1996 mit 49 Jahren. In meiner Familie sterben Manche mit 49. Es ist immer Herzeleid und ein genetischer Code oder vielleicht ist es einfach Bestimmung. 

Sie war so ein lustiges, aufgewecktes Kind in Israel. Im Jänner 1948 geboren wuchs sie behütet und arm auf. Mein Vater war bei der entstehenden israelischen Armee und kämpfte für die Existenz Israels nachdem die arabischen Nachbarstaaten den Beschluss der UN nicht anerkennen wollten.

Sie war Imas erstes Kind. Das erste Enkel meiner Großeltern. Ein Sonnenschein. Glücklich im Familienverband, verspielt, umgeben von Freude.

Purim, das Fest in dem der Errettung der Juden im Großpersischen Reich gedacht wird, war scheint’s ein echter Fototermin. An Purim verkleiden sich die Kinder in was sie wollen. Es ist nicht Fasching, weil es um einen strengen religiösen Termin geht. Man muss die Erzählung aus der Megilat Esther in der Synagoge hören. Aber dann ist’s nur Frohsinn, verkleidete Kinder, trinkende Erwachsene und Freude über die Erretung.

In der Familie hält sich die Legende, dass meine Schwester als ich 1951 geboren wurde gesagt haben soll: „Mit dem kann man doch gar nicht spielen!“ Unser geschwisterliches Leben war nicht leicht. Im Sinne der damaligen Zeit fühlte sie sich als Mädchen zurückgesetzt. Ich war der Bub. Meine mütterliche Oma verzärtelte mich. Allerdings konnte die väterliche nur Daphne gut leiden. Das war scheinbar nicht genug.

So viel ist in Israel gut gegangen. Die Eltern waren ein Paar. Die Großeltern wohnten um die Ecke und kamen fortwährend. Es gab wenig Geld und wenig Zukunftsaussichten. Aber die Feinde waren außerhalb und man musste nicht jeden und jede als Nazi verdächtigen. 

Man hatte keine schlechten Erinnerungen, nur heiß war‘s und Auskommen hatte man keines. Sie war ein Papakind. Er liebte sie und sie ihn. Ein Leben ohne meinen Vater Kurt war für sie nicht vorstellbar. Für sie gab’s keinen Grund nach Österreich zu übersiedeln. Vielleicht für meine Mama auch nicht. Vernunft sprach gegen Gefühl und leider hat die sogenannte Vernunft gesiegt. 

Dann kam Österreich: es war kalt und in der kleinen Wohnung in der Heiligenstätterstraße war es dunkel. Die Eltern stritten viel, Geld war weiterhin knapp. Der einzige Lichtblick war der Freitagabend wo Daphne und ich in den Hashomer Hazair gingen und Theater spielten. Es war wie Israel in Wien. Obwohl die Wohnung in der Storchengasse in Wien 15 klein war und der Tischtennistisch den Eingangsbereich völlig ausfüllte war es warm, fast heiß und plötzlich ein Gefühl des Dazugehörens und der Sicherheit.

Mit dem Sechstagekrieg 1967 zerbrach Daphnes Illusion. Israel war fast besiegt worden. Für Daphne, die sofort helfen wollte, am besten an der Front, zerbrach die Illusion der Zugehörigkeit. Israel wollte die Exil-Israelin nicht. Spenden ja, aber nicht aktiver Dienst. Drei Monate ging sie nach Israel – enttäuscht kam sie zurück. Kein Kibbuz hatte sie aufgenommen, kein Militär zwangsverpflichtet.

So wurde sie Revolutionärin. Mit einem Palästinensertuch ging sie zu den Hohen Feiertagen an denen sie bis dahin immer in den feinsten Kostümen mit spitzen Schuhen teilgenommen hatte, zur Synagoge. Verlacht, verspottet, angefeindet wandte sie sich den Maoisten zu, dem Kampf gegen den Vietnamkrieg und wurde die Prinzessin der antiautoritären Linken an der Seite Robert Schindels. In Revolutionsromantik schaffte es Robert Schindel sich absichtlich im Hochsicherheitsgefängnis Carabanchel nahe Madrid einsperren zu lassen und die revolutionären Freund harrten bei ihm aus. Als ich nach der Matura mit meines Vaters Auto kam, wurde mir mein sauer Erspartes abgenommen.